Weg vom Lehrerjob

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
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Ulysses
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Beitrag von Ulysses »

nanu hat geschrieben:Das ist natürlich nur deine persönliche Auffassung, die sich in keinster Weise mit dem deckt, was an den Seminaren gelehrt wird. Das Erste, was man dort lernt, ist, dass es in der Schule eben NICHT PRIMÄR UM DAS FACH GEHT.
Sondern? Tata: ... um die Schüler!
mal abgesehen, dass du hier wieder mal etwas allzu sehr pauschalisierst (das ist nicht an allen Seminaren so, zumindest nicht an dem, an dem ich war), muss ich dir diesmal mindestens partiell recht geben.

genau den Eindruck habe ich auch manchmal: viele (wenn auch nicht alle) moderne Pädagogen, besonders die an den Unis, die nicht in der Schulpraxis tätig sind, scheinen mir die Methoden über- und die Inhalte unterzubewerten.

es kommt nicht mehr auf das Ziel, sondern auf den Weg an. und das halte ich für fatal, denn welchen Sinn soll ein Weg haben, der zu keinem Ziel führt?

im philosophischen Sinne mag es viele Sinne für solche Wege geben, aber für den Schüler kommt es darauf an, dass er etwas lernt, nicht, wie er es lernt. er hat vom schönsten schülerzentrierten Unterricht langfristig nichts, wenn er nichts fürs Leben lernt. und fürs Leben muss er fachliche Inhalte lernen.

daher kommen auch so seltsame Gerüchte, die man immer wieder hört, wie z.B. dass jemand, der über viel Fachwissen verfügt, angeblich automatisch nicht in der Lage ist, Fachwissen so an die Schüler zu vermitteln, dass es ankommt.

das ist natürlich Unsinn, denn Wissen an sich und Wissen vermitteln sind zwei paar Stiefel. der beste Fachwissenschaftler kann pädagogisch die absolute Niete ebenso wie der beste Lehrer sein, und umgekehrt wird man nicht durch lückenhaftes Fachwissen automatisch zum guten Lehrer.

ich jedenfalls habe noch nicht bemerkt, dass mich mein durch wissenschaftliche Forschung erworbenes Fachwissen über die Darstellung der Körpersprache in der römischen Politik der frühen Kaiserzeit in den Werken des Cornelius Tacitus besonders dabei behindert, Lateinanfänger in die Geheimnisse der a-Deklination einzuführen ...

8)
Bayern, Gymnasium, Latein/Geschichte.
LAss seit Februar 2008 -- Planstelle an einem überaus elitären :mrgreen: städtischen Gymnasium
[i]... causas viresque perquirere rerum ...[/i]

Freidenker
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Beitrag von Freidenker »

nanu sprach :
Eine Kassiererin, die zusammen mit anderen gegen schlechte Arbeitsbedingungen kämpft, kann die wichtige Erfahrung gelebter Solidarität machen.
Ich denke, jede Kassiererin würde nanu während des Kassierens die Tomaten und Bananen um die Ohren klatschen, wenn sie so einen Schmarrn hören würde.Sie würde lieber von vornherein besser verdienen wollen als erst die Erlebnisse "gelebter Solidarität" machen zu müssen.
Auch das bleibt Lehrern vorenthalten.
Stimmt so nicht. Ich erlebe jeden Tag Solidarität, wenn es z.B. um Arbeitsbelastung, Konflikten mit Eltern und Schülern etc. geht.
Sie genießen materielle Sicherheit, womit sich der Staat aber zugleich ihre unbedingte Gehorsamspflicht erkauft.
Die notwendige materielle Sicherheit und Unkündbarkeit macht uns eingermaßen unabhängig von den Einflüssen Dritter.

Sehe und spüre ich an meinen Gliedmaßen die Beamten-Marionettenfäden nicht mehr ?

Merkwürdigerweise spüre ich stattdessen ungeheure Freiräume (Derer manchmal zuviel ?) in meinem Job, was nicht heißt, dass die Rahmenbedingungen immer paradiesisch optimal sind. Niemand guckt mir auf die Pfoten. Selbst unser Chef ist für uns gar kein direkter Chef. Auch unsere Schulministerin guckt nicht durch mein Klassen-Fenster. -Aber natürlich kann man sich in der Freien Wirtschaft viel besser und freier (Ohne Gehorsam !) entfalten, gerade in Zeiten der Rezession, wo Personalchefs und Manager zu ihren Mitarbeitern besonders menschlich und gnadenvoll sind.
So sind Lehrer zum Schweigen verurteilt und müssen ein Leben als Einzelkämpfer führen.
Merkwürdigerweise reiße ich (wir) überall meine/unsere Klappe auf, wo es nur geht, wie kürzlich beim Landrat oder Dezernenten.-Bis jetzt weder Rüffel, Abmahnung, Eintrag in Personalakte noch sonstige Nachteile.-Aber natürlich kann man sich diesbezüglich bei den immer kritkikfähigen, selbstlosen Chefs und Managern, die das Wohl ihrer Mitarbeiter immer über den Umsatz/Geld überordnen viel mehr erlauben.

nanu, ich glaube, Du bist im Gegensatz zu uns jetzt im Paradies gelandet ! Ich glaube, Dante und Solschenyzin würden uns Lehrer dem Ersten Kreis der Hölle zuordnen. 8)
Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

Hubselzwerg
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Beitrag von Hubselzwerg »

Ich habe schon an der Supermarktkasse gearbeitet? Solidarität??

Im gesamten Niedriglohnbereich ist das ein Witz. Niemnd, der seinen Job behalten will, muckt auf.

Wenn man Filmen und Gerüchten glauben darf, sind ja Taxifahrer besonders solidarisch. (Da kommen dann immer alle Taxler der Stadt, um einem Kollegen zur Seite zu stehen...)

Nur im echten Leben ist da nichts dran. Ich kenne ja nicht alle Berufe. Aber was Neid, Missgunst und Anschwärzerei angeht, dürfte das Personenbefördrungsgewerbe mindestens unter den Top 5 landen.

Soviel zur Realität.
Auch wenn nanu nun aus der Schule raus ist und doch tatsächlich einen (1!) anderen Job kennenlernt: Viel Realität ist das immmer noch nicht.

Nanu, frag doch mal die Kassiererin im Supermarkt, was sie von deiner "Theorie" hält.

Ach, eigentlich hatte es vabene schon schön auf den Punkt gebracht
Dieser Beitrag wurde 666 mal editiert, zum letzten Mal von Gott: Morgen, 23:06

Serafina
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Beitrag von Serafina »

nanu hat geschrieben:
vabene hat geschrieben: Jedenfalls ist die Art und Weise, wie du jedes beliebige Stichwort (sei es Kassierer, Kantinen oder was weiß ich sonst noch) dazu benutzt, um in dein Mantra von der ach so bösen und weltfremden Schule einzustimmen, schlicht und ergreifend lächerlich und realitätsfern..
Das Mantra von der weltfremden Schule kann nicht oft genug angestimmt werden.
Freu dich doch darüber, dass ich mich so angeregt an der Bildungsdebatte beteilige.
Wäre dann das Schlimmste für dich zu sehen, dass keiner mehr antwortet? Das wird wahrscheinlich nicht passieren, weil auch die andere Seite von deinen Beiträgen profitiert [Seien wir mal eine Runde ehrlich. Es gibt offenbar auf beiden Seiten etwas auszuhandeln. Schule ist nun mal ein brandheißer Brennpunkt in dieser Gesellschaft. Wer an Bord ist oder mal an Bord war, weiß das am besten], aber dann bleibst du an der Schose kleben und schadest dir damit mehr als die Schule, der du so bittere Vorwürfe machst.

Serafina
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Beitrag von Serafina »

Ulysses hat geschrieben:
nanu hat geschrieben:Das ist natürlich nur deine persönliche Auffassung, die sich in keinster Weise mit dem deckt, was an den Seminaren gelehrt wird. Das Erste, was man dort lernt, ist, dass es in der Schule eben NICHT PRIMÄR UM DAS FACH GEHT.
Sondern? Tata: ... um die Schüler!
mal abgesehen, dass du hier wieder mal etwas allzu sehr pauschalisierst (das ist nicht an allen Seminaren so, zumindest nicht an dem, an dem ich war), muss ich dir diesmal mindestens partiell recht geben.

genau den Eindruck habe ich auch manchmal: viele (wenn auch nicht alle) moderne Pädagogen, besonders die an den Unis, die nicht in der Schulpraxis tätig sind, scheinen mir die Methoden über- und die Inhalte unterzubewerten.
Ich habe mir mal einen furchtbaren Minderwertigkeitskomplex eingeredet, nachdem ich zum wiederholten Male von meinen Ausbildern gehört hatte, dass ich zu fachwissenschaftlich unterrichte und nicht gut didaktisch reduzieren könne.

Kurze Zeit später habe ich in England gesehen, dass dort auf didaktische Reduktion offenbar überhaupt keinen Wert gelegt wurde. Die Lehrer standen da und hielten manchmal die gesamte Unterrichtsstunde lang Monologe ab, und die Schüler schrieben fleißig mit.

Das hat dann meine eigene Vorgehensweise drastisch relativiert. Ich bin nie ein stark schülerorientierter oder handlungsorientierter Typ gewesen und werde es aus Überzeugung auch nie sein, weil ich glaube, dass die Schule auch ganz bewusst darauf vorbereiten sollte wie es im Erwachsenenleben aussieht. Da heißt es eben in aller Regel: Take it or leave it. [Schüler, die Sorgen haben und sie dann auch artikulieren, bilden da eine Ausnahme. Das ist etwas anderes. Das gälte im Idealfall aber eben auch für Erwachsene, denen es nicht gut geht und die besondere Unterstützung brauchen. Warum sollte man da grundsätzlich zwischen Heranwachsenden und Erwachsenen unterscheiden?]

Ich werde mich aber auch nie hinstellen und 45 Minuten lang einen Vortrag halten und erwarten, dass die Schüler still sitzen bleiben und brav mitschreiben, was ich zum Besten gebe.

Leider gibt es in didaktischen und methodischen Fragen sehr starre Vorstellungen bzw. Schulen, die man je nach Bundesland (da gibt es, soweit ich weiß, teilweise deutliche Unterschiede) temporär vertritt, bis sich ein neues Paradigma bildet. Sinnvoller fände ich ja, wenn Ausbilder realisierten, dass die Auszubildenden kein Rohmaterial, sondern bereits erwachsene und somit vielleicht auch auf ganz natürliche Weise geformte Menschen sind, die auch nur dann gute Arbeit leisten können, wenn man sie grundsätzlich so belässt wie sie sind. An einem eher fachwissenschaftlich ausgerichteten Unterricht ist grundsätzlich ebenso wenig falsch wie an einem eher schülerorientierten Unterricht. Und ein dritter Lehrer kann diese beiden Linien vielleicht auch noch auf geniale Weise verbinden. Und nach dem Ref machen die Leute ohnehin meistens genau das, was ihr Naturell ihnen sagt. Warum also nicht gleich damit arbeiten? Schüler können das verkraften. Die wollen doch sicherlich unterschiedliche Charaktere sehen und keine freien Projektionsflächen.

Freidenker
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Beitrag von Freidenker »

Hubselzwerg sprach :
Ich habe schon an der Supermarktkasse gearbeitet? Solidarität??

Im gesamten Niedriglohnbereich ist das ein Witz. Niemnd, der seinen Job behalten will, muckt auf.
Etliche Bekannte und Freunde von mir sind in mittelständischen und Großfirmen tätig. Wie überall kriselt es auch dort. Ein Bekannter erzählte mir neulich, wie die Geschäftsführer und Abteilungsleiter an die gefährdeten Mitarbeiter herantreten.

Das klingt dann in etwa so : " Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen ! Aus wirtschaftlichen und innerbetrieblichen Gründen sehen wir uns leider gezwungen unser Personal kurzfristig zu verkleinern. Diese Abteilung besteht zur Zeit aus 235 Mitarbeitern. Künftig können wir aber nur 56 Mitarbeiter beschäftigen. Die Geschäftsleitung wird in den nächsten Wochen ausloten, wen wir noch weiterbeschäftigen können."

Naja, jetzt müsste eigentlich nanus Modell von der "gelebten Solidarität" einsetzen.
Tatsache, wie mir der Bekannte berichtet, ist eher das Gegenteil. Gegenseitiges Hauen und Stechen (Heute nennt man das Mobbing), Anschleimen an die Chefs etc.-Gelebte Solidarität !

Ich denke, nanu hat weder Ahnung vom Lehrerdasein noch vom Arbeitnehmerlos außerhalb der Schule.-Aber dafür ist sie nicht so "weltfremd" wie wir.

Serafina sprach :
Ich werde mich aber auch nie hinstellen und 45 Minuten lang einen Vortrag halten und erwarten, dass die Schüler still sitzen bleiben und brav mitschreiben, was ich zum Besten gebe.
Und genau das erwarte ich von jedem einzelnen Schüler, wenn es notwendig ist. Wenn irgendein Schüler ein Problem damit hat, ist er (!) das Problem, nicht der Lehrer oder die Methode.

Ich denke, wenn alle Lehrer an einem Strang ziehen und bei den Schülern höhere Ansprüche anmelden, leisten die Schüler auch mehr. 8)
Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

Serafina
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Beitrag von Serafina »

Jedes Unternehmen - egal, ob privat oder staatlich unterhalten, - ist ein eigener Mikrokosmos. Vielleicht lässt sich global sagen, dass Angehörigen der Berufsgruppe X dieser oder jener Habitus anhaftet, aber je nach Unternehmen gibt es so große Variationsbreiten, dass man wohl kaum sagen kann, dass so und nicht anders die Lehrer, so und nicht anders die IT-Berater, so und nicht anders die Maurer sind. Jeder, der einmal einen Führungswechsel erlebt hat, weiß, dass sich ein und dasselbe Unternehmen sehr schnell wandeln kann.

Die Berufswahl, und darum geht es hier doch zentral, ist heute in aller Regel keine Verbindung auf Lebenszeit mehr. Wenn in Lebensläufen 3 oder 4 Berufswechsel auftauchen, hatte man bislang vielleicht noch Gründe, sich einen unsteten Lebenswandel / Charakter vorzustellen. Das kann man heute getrost vergessen. Der Markt ist so ausgerichtet. Wie lautet das Zauberwort? Flexibilität. Wie viele übertragbare Fähigkeiten hat man? Wie lernbereit ist man? Wie wichtig sind einem Fragen der Status und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe? Brechen diese Faktoren weg, wenn ein Berufswechsel erforderlich wird? Das schürt Ängste, birgt aber auch Chancen in sich. Anstrengend ist es allemal.

Dass Nanu mit einem gehörigen Groll den Schulalltag hinter sich ließ, ist sicherlich keine Ausnahme, aber nun hat er/sie eigentlich ganz andere Aufgaben.

Übrigens halte ich es schon für ein Gütekriterium, dass sich auch Lehrer nicht für immer festschreiben. Worin würden sie sich den andernfalls ernsthaft von Klosterschwestern und -brüdern unterscheiden? :wink:

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