Superhorror - trotz 1er - ich hätte damals abbrechen sollen

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
Martino
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Beitrag von Martino »

Die Bedürfnisse eines Referendars wurden eigentlich wenig bis gar nicht thematisiert. Es ging immer wieder pausenlos um die (angeblichen) Bedürfnisse der Schüler/innen.

Es fehlte bereits zu Beginn eine Art Stärken-Analyse des jeweiligen Referendars: auf welchen Stärken kann aufgebaut weren, wo sind spezielle Möglichkeiten DIESES Referendars, mit denen er oder sie arbeiten kann.

Man hätte über so einen Einstieg vielleicht verhindern können, so schnell in einen defizitären Status hineinzurutschen. Themen wie die eigene Körperwahrnehmung des Referendars wurden in meinen zwei Jahren eigentlich nie behandelt, außer unter dem Fokus der Wirkung auf die Schüler. Eine Art "Didaktik und Methodik des Referendars" war nicht einmal in Ansätzen entwickelt - also: was kann dieser je individuelle Mensch mit Spaß und Interesse eigentlich am besten rüber bringen, und welche Methoden liegen ihm selber eigentlich am besten.

Dies hätte ja einen individuellen Ansatz bedeutet, den ich so nirgendwo erkennen konnte. Eher schien es mir umgekehrt, daß eine Art Anti-Didaktik des Referendars zelebriert wurde: diese und jene Mängel des Reffis sind zügig, am besten sofort grundsätzlich zu überwinden, diese und jene Themen hat er/sie sich schnellstens anzueignen (in der Regel natürlich die Fachleiter-Themen, also die Themen, die den Fachleiter persönlich am meisten, bis hin zur Marotte, interessiert haben).

Eigentlich war insofern meist eine "Didaktik des Fachleiters" leitend. Die Schüler waren hier nur vordergründig vorgeschoben als Platzhalter der Interessen des Fachleiters. 80% oder 90% meiner Referendars-Leistung bestand am Ende darin, diese Fachleiter-Didaktik möglichst geschickt umzusetzen (was mir schließlich auch zu dem guten Einserschnitt verholfen hat, als einer der zwei oder drei "Besten" meines Jahrgangs).

Referendare, die solch eine ausgetüftelte simulative Kompetenz nicht aufbringen konnten oder mochten, denen diese intensive "ablauschende Menschenkenntnis" fehlte, landeten regelmäßig in einem Tauchbad persönlichen Stresses über die ganze Ausbildung hinweg.

--- Sicher gab es auch Ausnahmen, beobachtet habe ich sie am ehesten bei sehr jungen oder kommissarisch eingesetzten Fachleitern. Was 'Freidenker' oben im Beitrag als Schulsolidarität schildert, habe ich so allerdings nicht erlebt. An meiner Schule herrschte ein trocken-autoritäter Direktor über das Kollegium, und einen Kontakt zwischen mir und Direktor gab es meistens nur über Zettel, die ich vormittags oder nachmittags in meinem Fach vorfand (meistens Vertretungsanweisungen). Dies änderte sich erst am Ende meiner Zeit, als ich immer mehr als Vorzeige-Referendar aufstieg (in den ersten anderthalb Jahren kann ich mich nicht erinnern, daß der Direktor irgendeine meiner Stunden besucht oder auch nur geschnuppert hätte).
Dazu war das Kollegium meine Schule dauerhaft in zwei Teile gespalten, was den gesamten Diskurs dort bestimmte. Es gab allerdings häufiger Streit zwischen normalen betreuenden Fachlehrern und Fachleitern in der Art, wie oben beschrieben: zu 90% verteidigten dann die Lehrer den Referendar, zumal sie die Klasse und den Rahmen ja quasi immer besser kannten als der Fachleiter, und handelten wenigstens noch eine bessere Note als eine 5 heraus).

Von kommissarischen oder jungen Fachleitern war im übrigen auch nicht zu viel zu erwarten, da sie bei ihren ersten Reffis eine deutliche Scheu vor zu guten Bewertungen zu haben schienen (verständlich, um sich im System überhaupt etablieren zu können, schließlich hockten die alten Schrate ja bei den Lehrproben auch mit dabei).

Der beste Referendar war dann der, der sich in diesen zwei Jahren am eloquentesten anpassen konnte und die Spuren des Verschleisses am geschicktesten kaschieren konnte. Wer als Referendar dagegen mit Hörsturz, Schildrüsenproblemen oder hörbarer Dauer-Bronchitis aufwartete, wie um mich herum, hatte meist wohl schon dadurch ein besseres Examen verspielt (all dies meine ich jedenfalls in den Reffi-Jahrgängen um mich herum beobachtet zu haben). Magenprobleme und ein generell sehr heruntergekommenes Aussehen berechtigten teils durchaus noch zu guten Noten, vielleicht auch durch die darin zum Ausdruck kommende Opferbereitschaft und volle Unterwerfungsleistung.

Im übrigen zeigten auch etwa die Hälfte der Lehrer/innen deutliche Spuren einer bereits allgemeinen Verwahrlosung. Im Kollegium konnte man sich als Referendar maximal auf die Hälfte der Lehrer als Mentoren verlassen. Realistischer wäre wohl, auf ein knappes Drittel der Lehrer (die ihrerseits natürlich bereits seit Jahren sehr von Referendaren in Beschlag genommen waren, und meistens auch "belegt" waren durch Referendare im Schluß-Halbjahr, einschließlich ihrer Klassen, die nicht unentwegt neue Reffis durchziehen mochten). Dies grenzte den allgemeinen Bewegungsspielraum zusätzlich ein.

Freidenker
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Beitrag von Freidenker »

Ich finde es super, wenn die Schule zum Referendar hält. So etwas findet man nicht oft.
Da hast du vollkommen Recht, piccola. Leider ist es an manchen Schulen so, dass sich Fachleiter, bestimmte Fachlehrer und Schulleitung während und nach den Unterrichtsbesuchen auf Kosten der Referendare profilieren.

Ich denke, wir "fertigen" Lehrer können vielleicht in bescheidenem Maße unsere Befugnisse dafür nutzen, dass schikanöse Fachleiter ausgebremst werden.
Vielleicht ist es bei uns einfacher, weil unser Chef die meisten Fachleiter nicht mag.

Fachleiter brauchen Grenzen ! 8)
Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

Martino
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Beitrag von Martino »

@ Freidenker: dem würde ich zustimmen. Ohne den Einsatz des knappen Drittels engagierter Lehrer an meiner Schule wäre die Referendars-Ausbildung sowieso so gut wie vollständig zusammengebrochen.

Wenn ich heute überlege, wo ich wirklich etwas Substantielles gelernt habe, so war das am meisten bei einigen engagierten Lehrern der Fall, die nix mit der Fachleitung am Hut hatten. Solche intensiven Kontakte hatte ich während meines Referendariates vielleicht fünf oder sechs, konnte man auf jeden Fall an zwei Händen abzählen. Diese Lehrer waren ja wie gesagt auch meistens ausgebucht. Die Allianz war hier untergründig meistens "Normallehrer + Referendar" kontra "Fachleiter", in einigen Fällen gab es auch offene solche Auseinandersetzungen.

Die allgemeinen Seminarleiter aus dem pädagogischen Fachseminar habe ich als weniger bedrohlich erlebt, in meinem Fall waren das zumindest etwas trockenere, sprödere Typen. Die eigentliche "Gewalt" ging vor allem von einigen Fachleitern aus. Ein mich betreuender normaler Lehrer der Schule hat mir das unter vier Augen auch einmal von sich aus bestätigt.

Als sehr unangenehm habe ich auch Schuldezernenten in Erinnerung (die oft im Clinch mit dem Direktor zu stehen scheinen und vermutlich schon ziemliche Machtmenschen und Bürokraten sein müssen, um sich in dem Job wohlfühlen zu können).

Ob bei all dem Zirkus der Referendars-Ausbildung die eigentlichen Interessen der Schüler überhaupt wirklich in den Mittelpunkt gestellt wurden, wage ich sehr zu bezweifeln. Wichtiger war es doch, die Vorlieben der Fachleiter möglichst originalgetreu abzuhaspeln. :mrgreen:

Scooby

Beitrag von Scooby »

Martino hat geschrieben:Ob bei all dem Zirkus der Referendars-Ausbildung die eigentlichen Interessen der Schüler überhaupt wirklich in den Mittelpunkt gestellt wurden, wage ich sehr zu bezweifeln. Wichtiger war es doch, die Vorlieben der Fachleiter möglichst originalgetreu abzuhaspeln. :mrgreen:
Es ist natürlich ausgesprochen bedauerlich, welch hohes Maß an Inkompetenz du anscheinend in deiner Ref-Zeit erleben musstest. Zur Ehrenrettung der Seminarlehrer muss ich jetzt aber mal sagen, dass in meinem Studienseminar sämtliche - ausnahmslos ältere - Fachseminarlehrer sowohl durch ausgewiesene fachliche Kompetenz wie durch die Fähigkeit, ihre Referendare menschlich anzuerkennen und durch fachliche Kritik weiterzubringen, glänzen konnten.

Es mag vielleicht eine Ausnahme sein, aber in einer der ersten Stunden in einem meiner beiden Fachseminare hieß es sinngemäß:

"Versuchen Sie nur nicht, mich zu kopieren, das wird sowieso nicht klappen. Wir sind hier, um rauszufinden, welcher Lehrertyp Sie sind, welche Methoden zu Ihnen passen und wie Sie selbst sich vor der Klasse wohlfühlen können. Dabei möchte ich Ihnen gerne helfen."

Und das war kein leerer Spruch, sondern tatsächlich das ehrliche und aufrichtige Interesse nicht nur dieser Kollegin, sondern des gesamten Seminars. Ich wünsche mir, dass noch mehr solcher Pädagogen in die Aufgabe des Seminarlehrers streben, fürchte aber, dass durch ständige Kürzungen z.B. der Anrechnungsstunden für Seminarlehrer die Attraktivität dieser belastenden Position weiter sinkt und die motivierten und guten Leute sich auch davon abschrecken lassen.

Martino
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Beitrag von Martino »

Scooby hat geschrieben:Es mag vielleicht eine Ausnahme sein, aber in einer der ersten Stunden in einem meiner beiden Fachseminare hieß es sinngemäß:

"Versuchen Sie nur nicht, mich zu kopieren, das wird sowieso nicht klappen. Wir sind hier, um rauszufinden, welcher Lehrertyp Sie sind, welche Methoden zu Ihnen passen und wie Sie selbst sich vor der Klasse wohlfühlen können. Dabei möchte ich Ihnen gerne helfen."
Wahnsinn, wie verschieden das abzulaufen scheint, da tun sich wirklich verschiedene Welten auf. Das Zitat macht mich erstmal fast sprachlos.

Demzufolge scheint es bis heute eine Lotterie zu sein, in welchen Bannkreis man als Referendar gerät. Ich lande jedenfalls immer wieder bei den Fachleitern als Quelle der größten Referendars-Schrecken.

Das System war zu meiner Zeit so angelegt, daß erst die beiden Fachleiter kamen, dann mit etwas Abstand der pädagogische Seminarfachleiter, der einem zugeteilt war, aber schon mehr im Schlepptau, und dann erstmal ganz, ganz lange gar nichts.

In anderen Berufen scheint es so zu sein, daß Ausbilder und Prüfungskommission nicht unbedingt identisch miteinander sind. Im Referendariat kann ein einziger Fachleiter vom ersten bis zum letzten Tag die komplette Übermacht von "Mentor" bis "Richter" ausspielen. Sowas gibt es doch sonst gar nicht, weder im Sport noch bei der Ausbildung von Musikern, weder bei einfachen Lehrberufen, noch bei den Abschlüssen anderer akademischer Berufe.

Das ganze Wohl und Wehe hing jedenfalls zu meiner Zeit an diesen zugeteilten Fachleitern. Da, wo mehrere Fachleiter ein Hauptfach vertraten, waren die "Einzugsgebiete" dieser konkurrierenden Fachleiter auch noch STRIKT getrennt (so daß man zwar wußte, daß andere Fachleiter desselben Faches existieren, aber NIEMALS in der gesamten Zeit auch wenigstens nur eine Seminarsitzung dort mitmachen konnte, um einmal die Schwerpunkte zu vergleichen).

Außerdem haben sich entscheidende Teile der Ausbildung zwischen Fachleiter und Referendar oft zwischen vier Augen abgespielt, in irgendwelchen Besprechungszimmern, ohne alle Möglichkeiten der Transparenz, oft war ja nicht einmal ein anderer hospitierender Referendar dabei.

Außerdem war der subjektive Anteil der Fachleiter-Vorlieben zu meiner Zeit eklatant hoch.

Bär
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Registriert: 17.11.2005, 18:14:51

Beitrag von Bär »

Hallo Martino,

Ein interessanter und mutiger Beitrag, der eigentlich über das Ref hinaus geht (und menschliches Verhalten generell anspricht). Mich würde mal interessieren, ob du jetzt noch Lehrer bist und wie es für Dich aktuell läuft?

Bär.

kakaotrinkerin

Beitrag von kakaotrinkerin »

Sinngemäß das gleiche wurde bei uns auch gesagt am ersten Tag.
Ich finde eure Geschichten schrecklich und es tut mir sehr leid, dass es Refis gibt, die sowas durchmachen müssen.
Aber die Regel kann es nicht sein, denn ich habe zb im Freundes- und Bekanntenkreis sehr viele Refis, die so wie ich auch an der Schule sehr glücklich sind - trotz der vielen Arbeit
Das würde ich so unterschreiben.
Die Beurteilung des Refs wird, gerade wenn man dies im Nachhinein betrachtet, von so vielen verschiedenen Dingen abhängen, dass ich arg zu bezweifeln wage, dass die hier geschilderten Negativerlebnisse die Realität sind.

Es wird ja nicht nur darauf ankommen, an welche Schule und kommt, wie man dort empfangen wird, mit welchen Fachleitern man es zu tun hat- es kommt sicher auch zu einem nicht geringen Teil darauf an, wie man selbst mit Stress-Situationen, Negativkritik und Zeitdruck umgeht.

Ich habe Derartiges selbst nie erlebt. Sicher hat man sich mehr als einmal geärgert, es gab Stunden, bei denen mir nicht klar war, wieso das so negativ gesehen worden ist bzw. wieso mir am Ende auch nicht klar war, wie man das jetzt denn hätte machen sollen, es gab auch Stunden, für die ich sehr gelobt worden bin und insgesamt betrachtet, war man mir ggü gerade in der UPP sehr wohlwollend- eine bunte Mischung. Aber von einem derartigen Psychoterror kann ich absolut nicht sprechen.

Vielleicht könnte der Admin hier demnächst mal eine Umfrage starten, wie die Leute hier das Ref erlebt haben. Gut, es ist klar, dass sich hier in erster Linie die tummeln, die große Probleme haben bzw hatten. Ich schreibe bewusst große Probleme, weil jeder im Ref, ws nunmal eine Ausnahmesituation ist, irgendwelche Probleme hat. Mich würde mal interessieren, ob es wirklich die signifikante Mehrheit dr Leute ist, die das Ref als reinen Psychoterror empfunden hat oder ob nicht doch die Mehrheit dem zustimmen könnte, ws Cleolinda geschrieben hat.

Pauschale Negativurteile über Fachleiter à la "Irre, Geisteskranke, Schizophrene...." finde ich persönlich ziemlich unangebracht. Es mag gut sein, dass es in bedauerlichen Einzelfällen solche Menschen gibt. Gibt es in jedem Beruf. Es mag auch gut sein, dass viele FLs im Laufe der Jahre abstumpfen, ihre eigene Ref-Zeit vergessen und einen Ton anschlagen, der unangemessen ist. Ich glaube aber auch, dass jeder FL zunächst einmal ein Mensch ist, der nicht per se böse ist. Und für die sicher vielen FLs, die jeden Tag motiviert und überlegt ihre Arbeit tun, tun mir derartige Pauschalurteile echt leid.

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