Superhorror - trotz 1er - ich hätte damals abbrechen sollen

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
Martino
Beiträge: 34
Registriert: 18.04.2009, 22:56:24

Superhorror - trotz 1er - ich hätte damals abbrechen sollen

Beitrag von Martino »

Hallo an alle,

vielleicht hilft mein Beitrag irgend jemandem da draußen in der Referendarswelt, es ist der Beitrag eines "erfolgreichen" Ex-Referendars mit einem errungenen guten 1,...-Schnitt (im 2. Staatsexamen, Lehramt an Gymnasium).

Mich läßt diese Zeit allerdings bis heute nicht los - obwohl seitdem fast 10 Jahre vergangen sind.

Ich habe jetzt schon mehrfach stundenlang im Forum gelesen. Mir ist schon von daher klar, wie verschieden einzelne Referendare klarkommen und wie die Hinweise oft schwanken zwischen "Weitermachen und Durchziehen!, nachher wird es wieder leichter" und "tut mir leid, ich kann wirklich nicht mehr und kann es auch keinem empfehlen, in so einer Lage weiterzumachen".

Ich weiß auch aus meinen eigenen zwei Elends-Jahren damals, daß das Referendariat eine individuelle Kiste ist: der eine schafft es besser, der andere reagiert nervlich heftiger auf die Umstände. Der eine hat vielleicht Glück mit den Fachleitern, der andere muß sich mit schwierigen oder gar sadistisch wirkenden Fachleitern rumschlagen.

Als persönliche Antwort kann ich heute nur folgendes tiefe Gefühl artikulieren: ich hätte damals abbrechen sollen. Die ganzen zwei Jahre erscheinen mir noch heute im Rückblick als ein EINZIGER HORROR. Mit einer gewissen Schläue und Anpasserei habe ich es am Ende trotzdem geschafft, zu einem sehr guten Abschluß zu kommen (keine direkte Schleimerei, mehr indirekte - hauptsächlich habe ich intensive Menschenkenntnis angewendet und Prüfungsthemen gewählt, die meine Fachleiter ergötzt haben usw. usf.).

Was ich heute, fast ein Jahrzehnt später, merke: ich persönlich habe mir mit dem Durchleiden dieser Zeit keinen Gefallen getan. Eine gewisse Traumatisiertheit habe ich bis heute nicht abschütteln können. Klingt vielleicht lächerlich, hemmt mich aber bis jetzt. Ich war nach dem 2. Staatsexamen so fertig, daß ich außer etwas Erwachsenenbildung nie wieder in eine Schule gehen mochte! Und die Erwachsenenkurse hätte ich genauso gut auch ohne das 2. Examen erteilen können. Letztlich hat mich das beruflich nicht mehr wirklich weitergebracht.

Unangenehmerweise habe ich mir damals tatsächlich sowas wie eine Phobie geholt, zumal ich mit dem einen Fachleiter einen sehr üblen erwischt hatte - den ich mir wirklich auch als Folterknecht oder Schergen in einer Diktatur vorstellen könnte, da er einzelne Referendare bis zum völligen Zusammenbruch und Abbruch schikaniert hat.
Mir macht heute meine damalige Unterwerfungsleistung am meisten zu schaffen. Nach außen betrachtet war ich ja "erfolgreich" im Umgang mit diesem Menschen und diesen Situationen - ich bin genau von diesem mir verhaßten Menschen nachher sehr gelobt worden.

Aber das alles hat mir bis heute nicht wirklich etwas gebracht. Ich bereue wie gesagt heute sehr, daß ich nicht spätestens nach einem halben Jahr diese perverse Situation abgebrochen habe. Es tut mir seelisch gut, dies einmal niederzuschreiben. Es ist natürlich nur eine subjektive, eben meine Erfahrung. (abgesendet gegen fünf vor zwölf
- fünf nach zwölf wäre aber für meinen Fall passender)

Martino
Beiträge: 34
Registriert: 18.04.2009, 22:56:24

Beitrag von Martino »

Habe jetzt noch anderthalb Stunden in den Threads weiter gelesen. So sehr beschäftigt mich meine Erfahrung bis heute.

Mir fällt auf, daß in vielen Threads zum Thema Abbrechen oder Weitermachen sinngemäß geschrieben wurde: "nach der letzten Prüfung ist es ja vorbei, es sind doch 'nur' zwei Jahre Deines Lebens. Danach kannst Du ja damit abschließen und etwas ganz anderes machen, wenn es Dir nicht liegt".

Vordergründig habe ich das damals eigentlich auch gedacht. Die ganze Umwelt hat auch immer wieder in diesem Sinne auf mich eingewirkt, daß ich die Prüfungen doch schaffe, daß ich das alles nicht so ernst nehmen soll usw. Letztlich hat das aber in meinem Fall nicht gestimmt.

So komme ich heute eigentlich zu zwei Schlüssen:
- erstens, wenn man sich zu sehr verbiegen läßt während des Referendariats, kann das langfristig sehr nach hinten losgehen. Dieser Faktor ist nicht zu unterschätzen. Die zwei Jahre kann man später vielleicht erstmal eine Weile verdrängen, später kommen sie um so stärker wieder hoch. Die Gefahr, sich zu sehr anzupassen oder zu verbiegen, scheint ja nicht nur bei mir so hoch gewesen zu sein. Oft hat mann doch einfach psychisch und physisch Angst vor der nächsten Lehrprobe, vor dem nächsten Unterrichtsbesuch, vor den Vorgutachten, voir dem Einfluß des Direktors, usw.
Jedenfalls meine ich auch bei vielen Mitreffis diese extreme Anpassung beobachtet zu haben.

- Zweitens komme ich zum Schluß, daß es nicht zwangsläufig ein Erfolg sein MUß, wenn man mithilfe von Durchhalteparolen bis zum Ende durchzieht. Die Angst vor dem Abbrechen war bei mir damals zu stark, es paßte nicht in mein Selbstbild, etwas abzubrechen. Diese Angst vorm Aussteigen war schon fast sektenmäßig stark bei mir. Aber ich denke, ich bin mir selber nie so untreu geworden wie in diesen zwei Jahren.

Das betrifft insbesondere auch die Situation, wenn man merkt, daß man mit einem Fachleiter/in einfach nicht zurecht kommt und einen echten Sadisten vor sich hat. Im Grunde war ich hier einfach zu feige. Man kann mit der Erfahrung auch Lebensläufe in Diktaturen besser verstehen. Was hätte es mich gekostet, nach einem halben Jahr darauf zu dringen, das Seminar zu wechseln? Oder abzubrechen, wenn das nicht möglich gewesen wäre? Den Mut dazu hatte ich aber nicht, auch wenn ich schon damals objektiv und eindeutig gesehen habe, daß speziell der eine Fachleiter andere Referendare regelrecht als Menschen fertig gemacht hat (da er fachlich allgemein als kompetent galt, konnte er sich dies offenbar leisten).

Soweit also auch zu dem Thema Mut und Ehrlichkeit zu sich selber. Wäre ich heute noch einmal in der Lage wie damals, würde ich es vollkommen anders machen...

Piccola
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Beitrag von Piccola »

Hallo Martino,

hab vielen Dank für Deinen Thread.

Zwar habe ich das Referendariat ebenfalls als Horror empfunden, mich ebenfalls durchgekämpft und -wie Du- mit Prädikatsexamen abgeschlossen.

Auch in mir hat diese furchtbare Zeit etwas hinterlassen. Aber dieses Etwas unterscheidet sich von dem, was sie in Dir hinterließ. Der Horror und dessen Überwindung hat mich innerlich stärker werden lassen. Ich habe gelernt, mich nicht mehr so fertig zu machen. Das kommt mir im jetztigen Lehreralltag zugute.

Ich glaube, dass es von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist, ob man abbrechen soll oder sich durchbeißen.

Letztendlich muss ja niemand nach dem Ref zwingend Lehrer werden, sondern kann auch etwas anderes machen.

Ich verstehe gut, dass das Ref in einem eine Art Trauma hinterlassen kann.
Aber Du musst versuchen, damit abzuschließen.

Du hast damals richtig entschieden, so solltest Du heute denken. Denn wenn Du das Gefühl, es zu bereuen, stetig in Dir trägst, schadest Du Dir selbst damit.

Es ist so geschehen, Du hast damals den Weg so gewählt. Dann bist Du Lehrer geworden.
Es hat alles seine Richtigkeit.

Mir läuft beim Gedanken an das Ref auch oft noch der Eiskalte Schauer über den Rücken.
Aber dann wiederum bin ich froh darum, dass ich es so gut geschafft habe und dass es vorbei ist.

Ich glaube, dass es bei Dir noch nicht vorbei ist und Du den Horror bzw. die Erinnerung daran in Dein weiteres Leben nach dem Ref verschleppt hast.

Es ist ganz wichtig, dass Du Dich davon löst und die Vergangenheit ruhen lässt.
Dein Blick sollte auf das Jetzt gerichtet sein, und das Jetzt ist nicht mehr damals.

Ganz liebe Grüße,

von Piccola
Mens sana in corpore sano :-)

Lili
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Beitrag von Lili »

Martino, es tut mir für dich sehr Leid, dass du damals solch schlimme Erfahrungen gemacht hast. Für dich ist das bestimmt eine harte Einsicht, dass du es anders hättest machen sollen.
Trotzdem: auch dadurch hast du vielleicht etwas gelernt, was für dein Leben wichtig ist. Du sagst selbst, heute wüsstest du es besser. Vielleicht hast du die Erfahrung nicht immer alles hinnehmen zu müssen, nicht immer den Erwartungen Anderer entsprechen zu müssen,... aus einem für dich wichtigen Grund zu dieser Zeit machen müssen, der sich dir noch nicht erschließt. Du hast einen Fehler gemacht, den du heute so nicht wieder machen würdest. Fehler machen wir, um uns weiterzuentwickeln.
Du sagst, du warst dir selbst nie so untreu wie in dieser Zeit. Vielleicht hast du genau die Erfahrung machen müssen, um jetzt zu wissen, wer du bist.

Liebe Grüße
Lili

Severus Snape
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Registriert: 04.02.2005, 0:53:53

Beitrag von Severus Snape »

Über die Jahre haben sich in den diversen Ausprägungen dieses Forums zahlreiche Geschichten über den Horror des Referendariats gesammelt. Auch zuvor existierte bereits Literatur, welche das Referendariat sehr ausführlich beschreibt. Z.B. das autobiographische Buch von Lea Fleischmann: "Dies ist nicht mein Land" (ca. 1980), welches ähnliche Erfahrungen enthält. Vielleicht hilft es Martino, dieses Buch zu lesen?

Ob alle diese Horro-Geschichten einer objektiven Prüfung stand halten würden, wage ich zwar zu bezweifeln, die bekannte Willkürlichkeit der Leistungsmessung im Referendariat sorgt jedoch für ein Klima, in dem auch die Legenden besten Nährboden haben.

Martino
Beiträge: 34
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Beitrag von Martino »

Danke für Eure Antworten. Eigentlich läuft meine Erfahrung darauf hinaus, sich nicht dermaßen verbiegen zu lassen oder anzupassen an höchst willkürliche, fragwürdige Maßstäbe.

@ Piccola: vielleicht hast Du doch irgendwas Wesentliches anders gemacht als ich, um die Ref.-Erfahrungen später in Kraft umzusetzen. Vielleicht habe ich mich wirklich zu sehr verbogen damals, aus Angst, aus Ehrgeiz, oder weil ich damals einfach keinen anderen Ausweg wußte.
Mit der "Verschleppung" hast Du sicher recht, denn zunächst habe ich das Referendariat jahrelang komplett verdrängt, so als ob ich es nie gemacht hätte. Nun kommt es mir so nah vor, als ob vieles gestern gewesen sei (oder heute früh).

@ Lili: wenn man nur wüßte, was man aus so einer Erfahrung letztlich machen soll. Ich habe hier jetzt drei Fachleiter-Gutachten liegen, wo ich regelrecht hochgejubelt werde, und möchte das alles am liebsten wegwerfen. Um mich herum brachen damals viele andere ab, oder wurden schwanger, um nicht mehr weiter machen zu müssen, oder erkrankten, oder scheiterten unter dubiosen Umständen bei den Examenslehrproben. Und der Widerwille gegen diese Zeit ist noch heute so tief, daß ich diese Stadt nie wieder betreten habe.

@ Severus Snape: danke für den Literaturtip, kannte ich noch nicht. Eigentlich habe ich überhaupt nichts mehr zu dem Thema gelesen, außer daß ich schon letztes Jahr stundenlang im Forum hier gestöbert habe.
Mit der Willkür triffst Du einen Punkt, wobei ich heute denke, einiges ging über Willkür sogar hinaus: so wurden scheinbar gerade die selbstbewußtesten Referendare oft monatelang systematisch fertig gemacht. Es waren Leute dabei, die schon 10 Jahre lang erfolgreich Jugendgruppen, Sportgruppen o.ä. geleitet hatten, in einem Fall auch große Musikgruppen (Chor und Orchester). Es schien so, als ob einige Fachleiter dies gar nicht ertragen konnten, vor allem auch wenn ein Referendar schnell einen hervorragenden Kontakt zu den Schülern herstellen konnte.

Ich frage mich, ob es überhaupt andere Ausbildungen gibt, in denen so viele so destruktive Erfahrungen machen.

Leo08
Beiträge: 157
Registriert: 23.11.2008, 17:16:19

Beitrag von Leo08 »

Ich find das Ref auch sehr stressig und kann kaum abschalten.
Es prägt mich auch sehr und ich werde in 10 Jahren noch an diese harte Zeit zurück denken.
Aber ich hoffe dass ich dann immer noch gern meinen Job mache, für mich, ein paar SuS die nett sind und lernwillig und Kollegen die noch ein paar Visionen haben....
Viele Grüße, Leo aus NRW
Englisch/Pol/Sport

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