Referendariat und Technokratie

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
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blizz80
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Referendariat und Technokratie

Beitrag von blizz80 »

Hallo zusammen,

es ist schon viel über das Referendariat geschrieben worden. Leider gehen die Berichte (seien sie nun positiv oder negativ) nie wirklich in die Tiefe und letztlich geht es nie über einen subjektiven Erlebnisbericht hinaus.

Ich möchte versuchen, an dieser Stelle eine erweiterte Analyse vorzunehmen. Wer an einem herrschaftsfreien Diskurs Interesse hat und mit wirklichen Sachargumenten Kritik an meiner Darstellung äußern möchte, kann dies gerne tun.

Zu allererst möchte ich von meinen Erfahrungen berichten. Ich habe vor ein paar Jahren in einer deutschen Großstadt das Referendariat begonnen. Die Schule lag in einem sog. Problembezirk. Der Migrantenanteil war sehr hoch. Das Unterrichten gestaltete sich als äußerst schwierig (was jetzt für viele keine neue Erkenntnis sein wird). Über die Zustände an solchen Schulen ist schon viel geschrieben worden und daher spare ich mir Details. Auch in den Seminaren habe ich vieles von dem erlebt, was in diversen Foren schon berichtet wurde (in negativer Hinsicht). Die verschiedenen negativen Faktoren haben so viel Druck in mir erzeugt, dass ich nach einigen Monaten gekündigt habe. Interessanterweise hat ein Kollege von mir aus einem Seminar parallel zu mir gekündigt und ich habe Kontakt mit ihm aufgenommen. Wir haben viel über unsere Erfahrungen gesprochen und diese gemeinsam reflektiert. Meine Thesen zum Referendariat lauten wie folgt:

1. Die faschistoiden Tendenzen, die vielerorts vorhanden sind, sind kein Zufall. Durch das ''Referendariat'' werden angehende Lehrer in eine künstlich erzeugt Krise gestürzt. Im Grunde genommen wird versucht, einem die Persönlichkeit zu brechen (was bei mir der Fall war). Hat man den Anwärter dann von allen Seiten schön weichgeklopft, wird man zum Schluss durchgewunken und darf dann das 2. SE in Empfang nehmen. Daher ist es auch kein Zufall, dass in den Seminaren wenig Freigeister vorhanden sind. Und wenn jemand kreativ und frei denkt, wird ihm das schon ausgetrieben. Und wehe man versucht Kritik zu üben (so wie das mein Kollege versucht hat). Dann wird man rausgemobbt auf die übelste Weise.
Im Referendariat ist diese Tendenz m.E. strukturell verankert und Teil des Herrschaftssystems Schule (das Schulsystem ist alles andere als demokratisch organisiert).
Die SL sind natürlich ehemalige ''Opfer'', die jetzt das weiter geben, was ihnen auch angetan wurde. Das Referendariat ist überspitzt formuliert eine Art Initiation in die Lehrersekte (bitte nicht allzu wörtlich nehmen)
Natürlich werden einige jetzt einwenden, dass ihre Erfahrungen doch ganz anders waren und sie auch viel gelernt haben. Das mag sein. Sicher gibt es auch gute SL und gute Ausbildungsschulen. Dennoch wage ich zu behaupten, dass die oben beschriebenen Tendenzen weit verbreitet sind. Es sind also nicht nur rein subjektive Erfahrungen von einigen Wenigen.
2. All diejenigen, die solche Strukturen ertragen mussten und ihren Wunschberuf aufgegeben haben, sei gesagt, dass das nichts mit euch zu tun hatte. Die Kritik, die ihr erhalten habt, ist wertlos. Das sind keine Pädagogen, sondern einfach nur stupide Unterrichtsbeamte, die von Pädagogik sowieso nichts verstehen. Nehmt euch das bloß nicht zu Herzen, was dort gesagt wurde. Auch mein SL hat mir vor der Kündigung zu denken gegeben, ob ich denn für den Lehrerberuf geeignet wäre. Das ist alles eine standardisierte Rhetorik von standardisierten Menschen ohne Esprit.
3. Vielen Referendaren und anderen Lehrern ist wohl nicht klar, was in den letzten Jahren durch die Einführung des ''Kompetenzmodells'' und der ''Bildungsstandards'' mit dem Bildungssystem in Deutschland passiert ist. Diese sog. ''Output-Orientierung'' ist nichts weiter als eine technokratische Umstrukturierung des Bildungssystems. Es geht nicht mehr um Bildung, sondern um die Vermittlung von Kompetenzen. Der Mensch soll für die Wirtschaft und Industrie verfügbar gemacht werden. Die Folgen für das Referendariat sind wie folgt:
a. Das ohnehin bürokratische Wesen des Referendariats ist nun noch weiter ausgebaut
b. Unterrichtsentwürfe müssen nun ''kompetenzorientiert'' verfasst werden.
c. Das Referendariat ist dadurch eine Ausbildung zu einer reinen Technokratenpädagogik

Im Wesentlichen steckt hinter dieser Umstrukturierung die Zerstörung der deutschen Bildungstradition in Humboldtscher Prägung. Die Pädagogik wird um ihren geisteswissenschaftlichen Kern beraubt und wird immer mehr von technokratischen Ideologen vereinnahmt. Viele wissen nicht, dass Industrieverbände hinter der Einführung des Kompetenzmodells stehen. Eine detaillierte Analyse dazu gibt Prof. Dr. Jochen Krautz in diesem Aufsatz (als PDF zum Download):
http://www.erich-fromm.de/%20biophil/%2 ... J_2009.pdf

Empfehlenswert ist auch das Buch vom gleichen Autor mit dem Titel ''Ware Bildung-Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie''. Das ist dann sehr ausführlich. Hier der Link zur Amazon-Seite:
http://www.amazon.de/Ware-Bildung-Schul ... 581&sr=8-1

Für einen ersten Eindruck sind die Rezensionen ganz hilfreich.

Ich persönlich bedaure diese Entwicklung sehr. Ich habe meinen Wunschberuf deswegen aufgeben. Ich werde das nicht mitmachen und ich akzeptieren die Autorität und Beurteilung der SL nicht. Ich könnte zwar wieder einsteigen ins Ref, aber ich habe keine Lust, dort entgegen einer pädagogischen Überzeugung ein Schauspiel abzuliefern und mir sagen zu lassen, dass ich ''kompetenzorientiert'' unterrichten soll. Einen ''kompetenzorientierten Unterrichtsentwurf'' werde ich nie wieder schreiben.

Konsequenzen muss jeder für sich individuell entscheiden. Ich kann aber nur empfehlen, gut über diese Punkte nachzudenken. Da ich als Geisteswissenschaftlicher und Pädagoge der Gesellschaft und unseren Kindern verpflichtet bin, kann ich aus Gewissensgründen das Referendariat nicht als seriöse Ausbildung betrachten.

Wer das Ref aber schon ''erfolgreich'' hinter sich gebracht hat, sollte prüfen, ob er nicht einen seelischen Schaden davongetragen hat. Wenn man dann schon Lehrer ist, muss man ja solche Entwürfe nicht mehr schreiben. Das ist sicher ein Vorteil.

Es ist abscheulich, wie versucht wird, den schönen Beruf des Lehrers zu zerstören.

Warum kommt kein Widerstand? Das deutsche Volk hat schon einmal versagt und es ist erschütterlich zu sehen, wie scheinbar über die Hintertür ein neuer Totalitarismus in der Gesellschaft Fuß fassen kann. Aus der Markwirtschaft soll eine Marktgesellschaft werden. Wem das zu abstrus erscheint, der lese bei Jochen Krautz nach. Das sind nicht alles bloße Hirngespinste von mir selbst.

Ich bin gespannt, ob jemand in diesem Forum den Mumm hat, sich zu äußern. Vielleicht wird dieser Eintrag auch schnell ''zensiert''. Das wäre dann schon ein absolutes Armutszeugnis.

Viele Grüße
blizz80
Zuletzt geändert von blizz80 am 23.09.2011, 0:48:13, insgesamt 1-mal geändert.

MikyWay25
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Re: Referendariat und Technokratie

Beitrag von MikyWay25 »

:roll:

Jeanette77
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Re: Referendariat und Technokratie

Beitrag von Jeanette77 »

:|
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cancre
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Re: Referendariat und Technokratie

Beitrag von cancre »

In den Seminaren
der Muff von 1000 Jahren!
:?:
:?

Auswanderer
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Re: Referendariat und Technokratie

Beitrag von Auswanderer »

Nach der Lektüre des Threads des Themenerstellers stellen sich mir folgende Fragen:

1. Wie kommst du darauf, dass grundsätzlich jede Kritik der SL / FL nichtswürdig und somit wertlos ist? Kannst du das für jeden Fall so nachweisen, wie du es pauschal behauptest?

2. Dass der Umbau des Schulwesens einerseits gesellschaftlich / wirtschaftlich gefordert wird und wurde, ist ja nun kein großes Geheimnis. Die Politik ist offenbar gewillt, diese Forderungen zum Teil ungefiltert in neue Schulmodelle, Lehrpläne und Dienstanweisungen zu gießen. Zur Frage: Du weißt, dass Bildung auch einer Entwicklung unterliegt und du als Profi im Bildungsgeschäft auch auf dem Stand der Entwicklung sein musst?

3. Siehst du Bildung tatsächlich als eine "Kunst-um-der-Kunst-willen"-Veranstaltung an? Kann es nicht sein, dass Schule auch einen Mehrwert für die Zeit nach der Schule erbringen muss und kein reiner Selbstzweck ist?

4. Bist du nicht auch der Meinung, dass dein Faschismus-Vergleich himmelweit über das Ziel hinausschießt, weil du ja sicher weißt, dass Lehrer keine freien Künstler sind, sondern Beamte oder Angestellte des öffentlichen Dienstes, bei denen der Dienstherr einen Anspruch auf Loyalität hat? (Bei allem Recht gegen bestimmte Enscheidungen zu protestieren und zu streiten...)

Ich selbst habe durchaus auch so meine negativen Erfahrungen mit einzelnen SL gemacht. Dies war dann aber Sache zwischen denen und mir und ich habe meine persönlichen Konsequenzen daraus gezogen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, das zu einem faschistoiden System hochzustilisieren, vor allem nicht, wenn man dazu pauschal über einen Kamm scheren muss.

blizz80
Beiträge: 56
Registriert: 31.08.2010, 23:49:11

Re: Referendariat und Technokratie

Beitrag von blizz80 »

Hallo Jeanette77,

wenn es nur die alt bekannten Missstände wären, so hätte ich das Ref wieder woanders angefangen. Das hat man mir sogar angeboten von Seiten einer Schule. Ich habe aber abgelehnt...

Allerdings ist noch einiges zum Kompetenzmodell zu sagen:

Das ''Kompetenzmodell'' wird wohl nicht so häufig diskutiert. Jedenfalls kenne ich auf diesem Forum keine solche Diskussion. Ich lasse mich aber auch gerne eines besseren belehren.
Jedenfalls wollte ich bisher schon bekannte Tatsachen zum Ref in diesem Zusammenhang beleuchten und keine rein subjektive Jammerei von mir lassen. In diesem Sinne ist es zumindest mehr als überfällig.

Das Kompetenzmodell ist etwas Neues und hat auch mit dem alten Bildungsbegriff nicht gemein. Ich empfehle hier nochmal den Aufsatz von Jochen Krautz. Er bringt die Kritik in knapper Form auf den Punkt (er ist aber beileibe nicht der einzige Wissenschaftler, der das tut).
Zwischen Lernzielen, die geisteswissenschaftlich begründet sind, und Kompetenzen gibt es viele Unterschiede. EIne sog. Input-Orientierung, wie sie früher war, ist auch was ganz anderes. Ich finde es erstaunlich, wie kritiklos das alles angenommen wird.

Ein solche drastische Umstrukturierung erfordert eine erhöhte empirische und theoretische Begründung. Die gibt es jedoch nicht (siehe Krautz). Das ganze ist eine Mogelpackung (genau wie PISA). Die Menschen in diesem Land werden um ein einzigartiges Bildungssystem betrogen, das in der ganzen Welt berühmt ist. Wer das auch noch gut findet, dem ist nicht mehr zu helfen...

Ja, Opportunismus ist eine bequeme Sache. Man sitzt ja schön im gemütlichen Wohlstandsnest des Marionetten-Staates Deutschland und meint, damit gut durchs Leben zu gehen.
Das haben die Eliten geschickt gemacht. Erst die Leute Jahrzehntelang mit Wohlstand träge und dekadent gemacht. Doch die Falle schnappt langsam zu. Ein Totalitarismus kommt nie im alten Gewand daher. Da du GE unterrichtest, müsstest du das eigentlich wissen.

Dieser Opportunismus ist typisch für die Generation um die 30, die jetzt am Berufsanfang steht.
Es geht nur noch darum, irgendwie in der Arbeitswelt unterzukommen und etwas Wohlstand zu genießen. Visionäre Ideen oder Herrschaftskritik scheinen nicht mehr modern zu sein.

Gruß
blizz80

chrisy
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Registriert: 12.11.2009, 18:49:50
Wohnort: Ba-Wü / GWRS

Re: Referendariat und Technokratie

Beitrag von chrisy »

4. Bist du nicht auch der Meinung, dass dein Faschismus-Vergleich himmelweit über das Ziel hinausschießt
:roll:

In der Tat.

Und wenn man weiter liest und bis hierhin kommt:
des Marionetten-Staates Deutschland
klingt das alles wie ein Kessel buntes aus Politgeschwurbel und Verrschwörungsbrei :mrgreen:
"Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehn. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen."

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