Referendariat und Technokratie

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
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blizz80
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Re: Referendariat und Technokratie

Beitrag von blizz80 »

@chrisy
Ich denke, ich verweile ob meines mangelnden Intellekts bei dieser Diskussion besser in der mir von den USA/NWO/Weltkonzernen beschiedenen Scheinwelt.
Netter Versuch der Provokation. Für dich ist das in der Tat wohl wirklich besser so. Bei dir ist dann Hopfen und Malz auch schon verloren. :D

blizz80
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Re: Referendariat und Technokratie

Beitrag von blizz80 »

@freidenker
Naja, liegt zum einen, dass die "Realität" wirklich sehr komplex und manchmal nur diffus wahrnehmbar ist, zum anderen sind die (noch) jungen Lehramtsanwärter nicht mehr so an tiefgründigen gesellschaftlichen Themen interessiert und daher weniger kritisch eingestellt als die junge Generation noch vor ca. 30 Jahren.
Das ist eine sehr gute Beobachtung. Natürlich ist die Realität heute sehr komplex. Mir ist schon während meines Studiums die relative Geistlosigkeit meiner Altersgenossen aufgefallen. Besonders schlimm war es dann im Ref mit der bedingungslosen Hörigkeit gegenüber dem SL. Warum die alle einen so wichtigen Beruf wie den Lehrer ergreifen, ist mir schleierhaft. Eigentlich sollten die reflektiertesten Menschen diesen Beruf ergreifen und nicht irgendwelche oberflächlichen Spaß-Tweens, die während des Studiums lieber Party machen und denen es nur um das Materielle geht. Der Lehrerberuf wird also nicht nur von den Konzernen kaputt gemacht, sondern auch von solchen Leuten, die den pädagogischen Ethos verwässern. Aber dieser Begriff ist schon längst ein Fremdwort geworden...
Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass heutzutage konservative Positionen provokanter und gesellschaftskritischer wirken als linke.
Stimmt, viele nicht-konforme Meinungen werden eher in diese Ecke gebracht, um sie zu diffamieren. Wenn das nicht gelingt, fährt man größere Geschütze auf und benutzt standardisierte Stigmata wie ''Antisemit'' oder ''Holocaust-Leugner''. So bringt man jeden erst mal in eine Situation, in der er sich ständig rechtfertigen muss. Und nicht-konforme Meinungen müssen auch immer ganz besonders gerechtfertigt werden. Aber im Spiegel kann der größte konforme Müll stehen, kein Problem, hauptsache konform und leicht verdaulich und nicht
die Stützpfeiler des arroganten und ignoranten Wohlstands-ICHs in Frage
stellend.
Ansonsten, geehrter blizz80, intellektuell anstrengender Thread, den Du hier gestartet hast ! Ist man hier nicht mehr gewohnt.8)
Warum du das hier nicht mehr gewohnt bist, hast du ja selber oben geschrieben. Siehe auch meinen Kommentar dazu weiter oben. Ich freue mich auch, dass es hier welche gibt, mit denen man noch anregend diskutieren kann. Einige Dinge habe ich auch bewusst provokant formuliert. Das wirkt manchmal ja auch anregend...

Tlaloc
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Re: Referendariat und Technokratie

Beitrag von Tlaloc »

@Freidenker

"Pädagogisches Ethos" --> vielleicht ein Statement von dir dazu?
KL,
Ausbildungsleiter Schule,
Schul- und Unterrichtsentwicklung.

Denken hilft!

Freidenker
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Re: Referendariat und Technokratie

Beitrag von Freidenker »

blizz80 sprach :
Dann hat das deutsche Volk ja einen sehr geringen Anspruch. Vielen reicht wohl eine Mischung aus DSDS, Fußball und billigem Bier aus.
Ich will das mal so formulieren : Unsere Gesellschaft verprollt (zumindest geistig) immer mehr und das mit großem Selbstbewusstsein und immerfröhlicher Partylaune.
Ich muss natürlich gestehen, dass ich mich selbst immer mehr beim entspannten vor dem Fernseher-Herumsumpfen (manchmal auch chipsessend) von amerikanisierten Doku-Soaps wie Big-Brother, Frauentausch etc. ertappe. Gibt mir zugegebenermaßen nach einem anstrengenden vormittäglichen Nervenkrieg in der Schulstube ein gewisses Überlegenheitsgefühl, das ich genieße. Aber zur Rettung unseres Abendlandes trägt ein solches Fernseh-Konsumverhalten natürlich nicht bei.
Viele Menschen hier sind einfach zu hirnlosen Konsummarionetten verkommen. Lebensqualität wird nur noch über Konsum definiert. Das ist echt arm.
Das ist richtig ! Deshalb wird die Diskrepanz, was wir (!) in der Schulstube und die Kinder/Eltern wollen immer größer. Und wenn ich ehrlich bin, lässt mein Abend-Land-Rettungs-Impetus deshalb immer mehr nach. Mein Maßband wird auch immer dünner und ich mache mir mittlerweile mehr Gedanken um eine Pensionärs-Immobilie auf Mallorca als um um die Erhaltung abendländischer und pädagogischer Ideale. Irgendwann hat man keine Lust mehr in unserer Gesellschaft als einsamer Rufer in der Wüste dazustehen, der von der Spaßgesellschaft nur noch verlacht wird.
Wer sich so korrumpieren lässt, der darf sich nicht wundern, wenn er dann auch noch um sein kulturelles Erbe betrogen wird.
Ein Erbe, an dem kaum noch jemand interessiert ist. 8)
Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

cancre
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Re: Referendariat und Technokratie

Beitrag von cancre »

blizz80 hat geschrieben: 3. Vielen Referendaren und anderen Lehrern ist wohl nicht klar, was in den letzten Jahren durch die Einführung des ''Kompetenzmodells'' und der ''Bildungsstandards'' mit dem Bildungssystem in Deutschland passiert ist. Diese sog. ''Output-Orientierung'' ist nichts weiter als eine technokratische Umstrukturierung des Bildungssystems. Es geht nicht mehr um Bildung, sondern um die Vermittlung von Kompetenzen. Der Mensch soll für die Wirtschaft und Industrie verfügbar gemacht werden. Die Folgen für das Referendariat sind wie folgt:
a. Das ohnehin bürokratische Wesen des Referendariats ist nun noch weiter ausgebaut
b. Unterrichtsentwürfe müssen nun ''kompetenzorientiert'' verfasst werden.
c. Das Referendariat ist dadurch eine Ausbildung zu einer reinen Technokratenpädagogik

Im Wesentlichen steckt hinter dieser Umstrukturierung die Zerstörung der deutschen Bildungstradition in Humboldtscher Prägung. Die Pädagogik wird um ihren geisteswissenschaftlichen Kern beraubt und wird immer mehr von technokratischen Ideologen vereinnahmt. Viele wissen nicht, dass Industrieverbände hinter der Einführung des Kompetenzmodells stehen.
Hallo!

Ich stehe dem Kompetenzmodell auch sehr kritisch gegenüber, bezweifle aber, dass es sich dabei - wie Du in Anschluss an die von Dir zitierten Autoren ausführst - um eine Verfügbarmachung des Menschen für die Wirtschaft handelt. Das halte ich (ohne die Bücher gelesen zu haben) für eine sehr steile These. Ich denke nämlich nicht, dass das Kompetenzmodell überhaupt zu Kompetenzverbesserung führt. Und deswegen glaube ich nicht, dass "die Wirtschaft" oder "das System" davon profitiert.

Die Kompetenzorientierung scheint mir vielmehr ein Mittel zu sein, um in manchen Bereichen eine bessere Benotung von Leistungen zu ermöglichen, ohne die Leistung der Schüler wirklich zu steigern. Man hat sich hier von PISA echt verrückt machen lassen. Und nun muss D unbedingt ein paar Plätze im Ranking gutmachen. Und dazu braucht es bessere Noten.

Es geht z.B. darum, einen literarischen Text zu interpretieren. Ohne Kompetenzorientierung musste man mindestens den gedanklichen Kern bzw. das künstlerische Strickmuster des Textes erfassen und darlegen, um überhaupt die "ausreichend"-Hürde zu nehmen. Man musste "den Text kapieren", sonst hatte man "am Thema vorbeigeschrieben".
Mit Kompetenzorientierung ist das Erfassen des gedanklichen Kerns nur noch eine neben vielen anderen Kompetenzen. D.h. auch jemand, der überhaupt gar keine Ahnung hat, worum es in dem Text überhaupt geht, kann doch noch eine nicht geringe Anzahl an Punkten schaffen, indem er beispielsweise einige Metaphern als solche benennt und seine (inhaltlich falsche) Interpretation durch Absätze gliedert und keine Interpunktionsfehler macht.

Die Interpretation als Ganzes wird einem Kompetenzfetischismus geopfert und aufgespaltet in beziehungslose Einzelteile, die keinen gemeinsamen Sinn oder Zweck mehr haben. Das ist in der Tat "technokratisch", weil ein abstraktes Raster im Namen der Vergleichbarkeit/Kompentenzüberprüfung abgearbeitet wird.

Man vergibt mehr Punkte für nicht bessere Leistungen und kann stolz sein, dass "mehr Schüler zum Abitur geführt" wurden und D im PISA-Vergleich besser dasteht.

Ein ähnliches Instrument zur Notenanhebung scheinen mir auch die Förderpläne zu sein: "Gebe ich dem Schüler jetzt eine 5 und schreibe einen zig-seitigen, juristisch hieb- und stichfesten Förderplan oder gebe ich ihm vielleicht doch noch mit anderthalb zugedrückten Augen die 4 und muss diesen verdammten Förderplan dann nicht schreiben? Ach, eigentlich ist der liebe Schüler ja gar nicht sooooo schlecht. Soll doch der Kollege im nächsten Jahr die 5 geben ..." Ein Schelm, wer den werten Kollegen diesen Gedankengang unterstellt.

blizz80
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Re: Referendariat und Technokratie

Beitrag von blizz80 »

@Freidenker

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 Ich will das mal so formulieren : Unsere Gesellschaft verprollt (zumindest geistig) immer mehr und das mit großem Selbstbewusstsein und immerfröhlicher Partylaune.
Ich muss natürlich gestehen, dass ich mich selbst immer mehr beim entspannten vor dem Fernseher-Herumsumpfen (manchmal auch chipsessend) von amerikanisierten Doku-Soaps wie Big-Brother, Frauentausch etc. ertappe. Gibt mir zugegebenermaßen  nach einem anstrengenden vormittäglichen Nervenkrieg in der Schulstube ein gewisses Überlegenheitsgefühl, das ich genieße. Aber zur Rettung unseres Abendlandes  trägt ein solches Fernseh-Konsumverhalten natürlich nicht bei.
Man muss wahrlich kein Feldzug gegen die Verdummung führen. Letztlich müssen die Menschen selbst entscheiden. Irgendwann bekommen sie ihre Quittung dafür. Ich selber habe auch aufgehört, im großen Stil dagegen anzugehen. Aber manchmal geht doch der Rebell mit mir durch und ich werde aktiv. Aber ansonsten achte ich darauf, keine Leute mehr ''zu bekehren'', die überhaupt kein Interesse an einem einigermaßen zivilisierten Leben haben.
Abhängen tut jeder mal. Das ist nicht schlimm. Man sollte sein Leben nur nicht darauf reduzieren.
Das ist richtig ! Deshalb wird die Diskrepanz, was wir (!) in der Schulstube und die Kinder/Eltern wollen immer größer. Und wenn ich ehrlich bin, lässt mein Abend-Land-Rettungs-Impetus deshalb immer mehr nach. Mein Maßband wird auch immer dünner und ich mache mir mittlerweile mehr Gedanken um eine Pensionärs-Immobilie auf Mallorca als um um die Erhaltung abendländischer und pädagogischer Ideale. Irgendwann hat man keine Lust mehr in unserer Gesellschaft als einsamer Rufer in der Wüste dazustehen, der von der Spaßgesellschaft nur noch verlacht wird.
Ein Stück weit ist das schade. Aber man sollte in der Tat seine Energie nicht darauf verschwenden, den Idioten bekehren zu wollen. Den diese verachten nur unsere verständigen Worte und man wird zum Idioten abgestempelt.
Ein Erbe, an dem kaum noch jemand interessiert ist. 8
Deutschland schafft sich gröllend und jauchzend vor dem Fernsehsessel selber ab. Dazu braucht es die Konzerne gar nicht. Das deutsche Volk schafft das auch alleine..

blizz80
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Re: Referendariat und Technokratie

Beitrag von blizz80 »

@cancre

Danke für diesen Beitrag.
Ich stehe dem Kompetenzmodell auch sehr kritisch gegenüber, bezweifle aber, dass es sich dabei - wie Du in Anschluss an die von Dir zitierten Autoren ausführst - um eine Verfügbarmachung des Menschen für die Wirtschaft handelt. Das halte ich (ohne die Bücher gelesen zu haben) für eine sehr steile These. Ich denke nämlich nicht, dass das Kompetenzmodell überhaupt zu Kompetenzverbesserung führt. Und deswegen glaube ich nicht, dass "die Wirtschaft" oder "das System" davon profitiert.
Nun, ich halte nach wievor daran fest, dass die Wirtschaft schon glaubt, den Menschen damit an sich zu binden. Stichwort ''corporate identity''. Der Kapitalismus strebt heute danach, den Menschen innerlich zu vereinnahmen. Der Mensch also soll mit Leib und Seele seine Zustimmung geben.
Ich stimme dir darin überein, dass dieses Modell in der Tat keine Leistungsverbesserung bringt. Das glauben die zwar, aber es wird scheitern, weil nur echte Bildung einen Mehrwert für die Gesellschaft erzeugt. Man spricht zwar von ''Qualität'', etc. aber in Wirklichkeit geht es um einen Bildungsabbau.
Die Kompetenzorientierung scheint mir vielmehr ein Mittel zu sein, um in manchen Bereichen eine bessere Benotung von Leistungen zu ermöglichen, ohne die Leistung der Schüler wirklich zu steigern. Man hat sich hier von PISA echt verrückt machen lassen. Und nun muss D unbedingt ein paar Plätze im Ranking gutmachen. Und dazu braucht es bessere Noten.
Jeder, der länger in der Praxis ist und alle, die noch einen klaren Kopf haben, wissen, dass die Schüler immer schlechter werden. Daher ist es sicher ein Aspekt des Ganzen, dass man Leistungsbeurteilungsverfahren schafft, die dies kaschieren wollen und der politischen Profilierung dienen. Ich würde jetzt mal behaupten, dass alle Studien, die angeblich eine Leistungsverbesserung der Schüler behaupten, Betrug sind. PISA ist der größte von allen Betrügereien auf diesem Feld. Aber da hat man die Ergebnisse so manipuliert, dass die deutschen Schüler schlecht dastehen. Und prompt hat man einen ''guten Grund'' neoliberale Reformen einzuführen.
Es geht z.B. darum, einen literarischen Text zu interpretieren. Ohne Kompetenzorientierung musste man mindestens den gedanklichen Kern bzw. das künstlerische Strickmuster des Textes erfassen und darlegen, um überhaupt die "ausreichend"-Hürde zu nehmen. Man musste "den Text kapieren", sonst hatte man "am Thema vorbeigeschrieben".
Mit Kompetenzorientierung ist das Erfassen des gedanklichen Kerns nur noch eine neben vielen anderen Kompetenzen. D.h. auch jemand, der überhaupt gar keine Ahnung hat, worum es in dem Text überhaupt geht, kann doch noch eine nicht geringe Anzahl an Punkten schaffen, indem er beispielsweise einige Metaphern als solche benennt und seine (inhaltlich falsche) Interpretation durch Absätze gliedert und keine Interpunktionsfehler macht.

Die Interpretation als Ganzes wird einem Kompetenzfetischismus geopfert und aufgespaltet in beziehungslose Einzelteile, die keinen gemeinsamen Sinn oder Zweck mehr haben. Das ist in der Tat "technokratisch", weil ein abstraktes Raster im Namen der Vergleichbarkeit/Kompentenzüberprüfung abgearbeitet wird.

Man vergibt mehr Punkte für nicht bessere Leistungen und kann stolz sein, dass "mehr Schüler zum Abitur geführt" wurden und D im PISA-Vergleich besser dasteht.
Eine wirklich sehr gutes Beispiel. Danke dir dafür. So wird geisteswissenschaftliche Erkenntnis durch den Kompetenzfetischismus zerstört.
Ein ähnliches Instrument zur Notenanhebung scheinen mir auch die Förderpläne zu sein: "Gebe ich dem Schüler jetzt eine 5 und schreibe einen zig-seitigen, juristisch hieb- und stichfesten Förderplan oder gebe ich ihm vielleicht doch noch mit anderthalb zugedrückten Augen die 4 und muss diesen verdammten Förderplan dann nicht schreiben? Ach, eigentlich ist der liebe Schüler ja gar nicht sooooo schlecht. Soll doch der Kollege im nächsten Jahr die 5 geben ..." Ein Schelm, wer den werten Kollegen diesen Gedankengang unterstellt
Nun, das ist angesichts der Belastungen des Alltages ein Stück weit verständlich. Man hat ja die Schulen über die Jahrzehnte bewusst kaputt gespart und die Lehrer mit Mehraufwand unnötig von wirklicher pädagogischer Arbeit abgehalten. Pädagogische Arbeit braucht Zeit, Ruhe und Besinnlichkeit. Davon dürfte in den heutigen Lehrerzimmern nicht viel übrig sein. Das dies so ist, ist kein Zufall. Es wäre politisch kein Problem, mehr Lehrer einzustellen. Man will es eben nicht, deswegen tut man es auch nicht. Das Gerede von leeren Kassen ist reinste Blasphemie...

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