Das Referendariat ist nicht so schlimm!

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
Tom

Das Referendariat ist nicht so schlimm!

Beitrag von Tom »

Hallo zusammen,

man muss auch mal sagen, dass das Referendariat nicht immer so schlimm ist. Bin jetzt fertig und es war ganz o.k. Ob ich ein Anstellung bekomme ist eine andere Frage, ich hoffe schon. Also, Durchhänger gibts zwischendurch immer, wie eben in jedem anderen Beruf auch. Das Problem ist, dass die meisten Referendare vorher noch nicht gearbeitet haben und ich kann euch sagen, da ist es auch nicht besser, eher schlimmer! Als Akademiker hat man doch auch die notwendige Reife über den Dingen zu stehen.

Bin sehr neugierig auf eure Antworten.

LG

Tanja

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Beitrag von Tanja »

Hi!

Mein Studium (Architektur) war im Gegensatz zu meiner (kurzen) Zeit im VOB (6 Monate Lehramt per Seiteneinstieg) ein wahres Vergnügen, eine Wonne, eine Freude! Für mich und meine Umwelt! Ich habe zu jeder Sekunde gestrahlt und hatte noch genügend Power und Zeit für andere Dinge, die mit dem Job nichts zu tun hatten. Ich war nicht nur froh über meinen Abschluss, sondern auch traurig, dass mein Studium schon so schnell vorbei war. Eine wunderbare Zeit, an der ich mich gerne(!) erinnere. Wie viele Lehrer können das von ihrem VOB behaupten?

Im Studium war ich ganz „Mensch“ und das "Mensch-Sein" musste ich im VOB von heute auf morgen aufgeben. Im Gegensatz zum Ausbildungsverlauf im VOB (NRW) entsprachen sämtliche(!) Leistungs-Anforderungen im Architektur-Studium der Vernunft, vom Geist nichts zu fordern, was dem Organismus widerstrebt. Schlafentzug, Hektik und Unzufriedenheit gehörten zu keiner Sekunde dazu. Mein VOB bestand nur aus diesen 3 Dingen und den „akademischen“ Grund für diesen unnötigen und unsinnigen Terror am menschlichen Leben, erfasse ich heute noch nicht, obwohl ich Akademikerin bin -- aber eben keine Maschine!

Die praktische Ausbildung für das Lehramt ist eine Katastrophe (Ablauf und Inhalte völlig sinnfrei) und die wenigen, die dabei von Glück reden können, es „gut“ angetroffen zu haben, sind die Ausnahmen in einem Ausbildungssystem, das die Bezeichnung nicht verdient hat.

Das Lehramt macht Menschen zu Wracks -- früher oder später kriegen sie jeden! Wer keine Haut wie ein Panzer mitbringt, wird bereits nach wenigen Jahren im Job verzweifeln. Meine Haut mag zwar dünner sein, als die von anderen Referendaren, aber dafür ist sie verdammt flexibel. Ich weiß mit Sicherheit, dass ich mich auf die 2. Aufnahme in den VOB nicht freuen werde, denn ich weiß, welch hartes Brot und Wasser mich erwarten. Dagegen war mein Studium Zucker und Sahne und der Abschluss „Architektin“ klingt auch vielseitiger als „Lehrerin“. Aber was macht man nicht alles für eine „sichere“ Pension oder Rente, die man später genießen kann … Herrgott, wie krank bin ich, dass ich an so was denke? Wie krank müssen die anderen sein, die heute nur noch von „Pension“ und „sicherem Einkommen“ sprechen, wenn das Wort „Lehramt“ fällt? Wichtiger für mich sind die vielen Jahrzehnte zwischen Jugend und Rente. Und dieser Raum dazwischen schließt sich angesichts aktueller Umstände (Geld statt Stellen, Mehrstunden ohne Ausgleich, größere Klassen, weniger Freizeit) wohl im Sinne der Lebensqualitäten aus, wenn man erstmal als Lehrerin vermittelt wird um seine Nerven zu lassen.

Da muss ich mir jeden Schritt in diese Richtung gründlich überlegen, denn jede Mühe sollte sich auch lohnen, nicht wahr?

Schönen Feiertag wünscht (davon habe ich im Moment viele) ;-)

Tanja

Lysander

Re: Das Referendariat ist nicht so schlimm!

Beitrag von Lysander »

Tom hat geschrieben:Hallo zusammen,

man muss auch mal sagen, dass das Referendariat nicht immer so schlimm ist. Bin jetzt fertig und es war ganz o.k. Ob ich ein Anstellung bekomme ist eine andere Frage, ich hoffe schon. Also, Durchhänger gibts zwischendurch immer, wie eben in jedem anderen Beruf auch. Das Problem ist, dass die meisten Referendare vorher noch nicht gearbeitet haben und ich kann euch sagen, da ist es auch nicht besser, eher schlimmer! Als Akademiker hat man doch auch die notwendige Reife über den Dingen zu stehen.

Bin sehr neugierig auf eure Antworten.

LG
Hier muss man wohl zwischen der tatsächlichen Arbeitsbelastung und der emotional-psychischen Belastung differenzieren. Die Arbeitsbelastung ist sicherlich im Rahmen des Machbaren (man kann nebenbei ja offenbar auch Kinder erziehen oder ein Drittfachstudium noch abschließen).
Was aber die emotional-psychische Belastung angeht, so empfindet jeder Referendar das Ref. anders und geht anders damit um. Das Hauptproblem ist m.E. genau diese zweite Belastung, die durch ein in der Tat nicht wirklich menschenfreundliches System zu einem wahrlich zerstörerischen Faktor werden kann.
Die meisten Klagen und Beschwerden von Referendaran gehen, so wie ich das wahrnehme, nicht über eine unmenschliche Arbeitsbelastung sondern vielmehr über diesen hohen psychischen Druck, dem man mehr oder weniger hilflos ausgesetzt ist. Da hilft dem Akademiker seine ganze Reife nicht - und schon gar nicht eine mögliche professionelle oder reife Einstellung zum Arbeiten.

Was viele Referendare jedoch nicht schaffen, ist zwischen ihrer Rolle, die sie in dem System einnehmen und ihrer Persönlichkeit zu differenzieren.
Ich stelle folgende Thesen auf:

1. Vieles, was die Referendare erdulden oder erleiden müssen, macht sich vor allem an ihrer Rolle fest und weniger an ihrer Persönlichkeit.

2. Mit dem Bewusstsein für diese Tatsache lassen sich viele sogenannte "Angriffe" seitens des Seminars, der FL oder sonstigen an der Ausbildung beteiligten Leute locker abwehren bzw. man kann anders damit umgehen. Viel seelisches Leid ließe sich so vermeiden oder verringern.

3. Ich bin als Mensch immer nur in dem Maße angreifbar, wie ich es zulasse.

Ist man sich dieser drei Punkte bewusst, dann kommt man relativ sicher durch das Referendariat, weil vieles an der Rolle, die man einnimmt bereits abprallt und nicht zu einem durchdringt.

Dieses Rollenbewusstsein ist später als Lehrer noch viel wichtiger, denn auch hier behaupte ich folgendes:

1. Ein Großteil des Schülerverhaltens dem Lehrer gegenüber macht sich an seiner Rolle fest - er ist eben immer noch latent das Feindbild bzw. der Gegner der Schüler.

2. Mit diesem Wissen bin ich als Mensch für die Schüler deutlich weniger angreifbar, weil ich aus einer Rolle heraus arbeite (teilweise muss ich diese Rolle sogar spielen).

Dies soll nicht dazu dienen, die Rolle, die man als Lehrer einnimmt, als Entschuldigung oder Alibi für alles zu nehmen. Selbstreflektion und Selbstkritik sind zwei mindestens ebensowichtige Begleiter auf dem Weg zu einer ausgeglichenen Lehrerpersönlichkeit.

Gruß
Jules

Severus Snape

Beitrag von Severus Snape »

Mein Referendariat war auch ganz OK, sicher aber nicht stressfrei.

Andere Referendare nehmen die gleiche Situation halt anders war. Nicht jeder empfindet es wie Tanja, nicht jeder wie ich. Klagen werden hier aber eher Leute, die Tanjas Eindrücke haben. Daraus würde ich aber noch keine allgemeinen Rückschlüsse ziehen. Ebensowenig wie aus meiner gedämpften Zufriedenheit. Das kuriose ist doch, dass die gleiche Situation im selben Seminar, an der selben Schule bereits gänzlich anders wahrgenommen werden kann.

Wenn ich mein Studium als Referenz für mein späteres Leben nehmen wollte, dann müsste ich für einen Job im Paradies anstehen. Insofern kann ich Tanjas Gegenüberstellung von Studium und Job keinen rechten Aussagewert entnehmen. So gemütlich wie im Studium war kein Job, den ich je gemacht habe. Und zwar unabhängig von der erforderlichen Qualifikation. Ich habe das allerdings auch nicht erwartet.

Gruß,
Snape

Gast

Beitrag von Gast »

:lol: :roll: :twisted: :D :roll: :oops: :arrow:

Tanja

Korrektur wegen falscher Interpretation!

Beitrag von Tanja »

Severus Snape hat geschrieben: Insofern kann ich Tanjas Gegenüberstellung von Studium und Job keinen rechten Aussagewert entnehmen.
Hi!

Was kann man auch aus (m)einem Beitrag entnehmen, was dort gar nicht steht? Meine Gegenüberstellung betrifft das Studium vs. VOB! Beides sind Ausbildungen, von einem Job also weit entfernt! Schließlich vergleiche ich auch nicht den Job als Architektin mit dem Job als Lehrerin. Es geht nur(!) um die Ausbildung und deren Inhalte und Organisation. Alle reden von Schulreformen, aber nichts tut sich in NRW zugunsten der Referendare!

Ich werden mal -- aus purer Freude -- einen "offenen" Brief an die Bildungsministerin senden und ihr von meinen Erfahrungen als Seiteneinsteigerin im VOB berichten. Wenn das Ziel der Bildungspolitik für 50 Prozent der Seiteneinsteiger die Flucht aus dem Lehramt bedeutet, dann hat der Staat noch viel Geld für weiteren Unsinn.

Tanja

Frauke

Re: ...

Beitrag von Frauke »

Ich hoffe für Dich und Deine Schüler/Innen, dass Du Deinen Entschluss Lehrerin zu werden noch einmal gründlich überdenkst...
Ich fand mein Studium richtig schlecht, fühle mich jetzt im Ref zwar sehr gefordert, aber dennoch glücklich und kenne viele, denen es so geht. Vielleicht solltest Du das Sicherheitsdenken an den Nagel hängen (unglaublich, sich aus einer solchen Motivation für einen Job zu entscheiden, bei dem man so viel zerstören kann) und lieber das machen, was Du scheinbar sehr viel lieber machst?

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