Chaosklasse - die Selbstzweifel beginnen

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
chicelita
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Chaosklasse - die Selbstzweifel beginnen

Beitrag von chicelita »

Hallo ihr Lieben,
Ich bin im ersten Ausbildungsabschnitt des Ref.s und habe vor zwei Wochen eine 7. Klasse in Deutsch übernommen. Die Klasse gilt bei allen Lehrern als "sehr lebhaft". Viele Lehrer ballern die Klasse einfach mit Übungen und Arbeitsaufträgen zu, das scheint recht gut zu wirken.
In meinem Fach bin ich aber auf ein gutes Unterrichtsgespräch angewiesen und kann/will sie nicht andauernd in Einzelarbeit irgendwas schreiben lassen (darauf haben sie auch keine Lust mehr und schreien nach einem Satz "Ich bin fertig").
Das Problem in der Klasse ist, dass sehr viele Schüler "Störer" sind. Sie reden einfach rein, unterhalten sich durchs halbe Klassenzimmer etc.
Ich als "Anfänger" bin mit der Situation heillos überfordert und habe auch keine Lust andauernd wieder laut werden zu müssen, damit es für 3 Minuten erträglich ist, bis es wieder losgeht.
Tipp von meinem Betreuungslehrer "einfach viel schreiben lassen".
Ja super... Ich würde aber ganz gerne unterschiedliche Methoden ausprobieren und "Lehrer sein" üben :(
In der zweiten Chaosstunde war ich dann strenger und habe Konsequenzen bei wiederholtem Stören angedroht (eine Ermahnung, bei der 2. Ermahnung Nacharbeit). Das hat in der Stunde recht gut gewirkt.
Heute hatte ich die Klasse in der 6. Stunde und war - im Nachhinein betrachtet - viel zu nachlässig. Habe zwar ein paar Schüler zur ersten Ermahnung an die Tafel geschrieben - aber dann nur immer wieder ermahnt und die Konsequenz angedroht, anstatt sie wirklich folgen zu lassen :(((((
Das wars dann wohl mit meiner Durchsetzung...
Im Moment bin ich total demotiviert, hab keine Ahnung wie ich diese 4 Wochenstunden in der Klasse bis Februar ertragen soll - und Lust auf große Vorbereitung etc. hab ich auch nicht, weil ich weiß, dass mein Stundeninhalt aus Ermahnen und Zurechtweisen besteht.
An eine Lehrprobe in dieser Klasse ist sowieso nicht zu denken....

Ich würde mich sehr über Reaktionen und ähnliche Erfahrungen und den Umgang damit freuen.

Im Moment denke ich ernsthaft darüber nach, nach Weihnachten abzubrechen... Aber nur 1. Staatsexamen zählt halt auch nix
Oder ich halte die 13 Wochen bis Halbjahresende durch und hoffe, im Einsatz nicht so eine Klasse zu kriegen? aber 13 Wochen mit je 4 Stunden in dieser Klasse, danach kann ich mich einweisen lassen

Ihr seht, wie deprimiert ich im Moment bin

Katta
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Re: Chaosklasse - die Selbstzweifel beginnen

Beitrag von Katta »

Tiiiiiief durchatmen.

Das Problem hast du doch im Prinzip erkannt: Ermahnen, Nacharbeit, das Ganze konsequent durchziehen. Du hast ja selber erkannt, dass es die eine Stunde, in der du konsequent warst, gut geklappt hast, in der Folgestunde, in der du es hast schleifen lassen, eben nicht mehr.
Konsequent sein ist extrem schwer. Ist total leicht gesagt und extrem schwierig durchgehalten (zumindest für die meisten Menschen, die ich so kenne, mich eingeschlossen). Jeder hat dann mal Stunden, in denen es gut klappt und manche, in denen man selber weiß, kacke, heute war das nichts. Und du bist ganz am Anfang (!!) deines Refs, natürlich klappt das noch nicht jede Stunde! Das ist vollkommen normal und kein Grund, an der eigenen Fähigkeit zu zweifeln. Unterrichten ist komplex und schwierig zu erlernen, dazu eben das classroom management.
Und gerade 7er sind zumindest bei uns für ihre "Lebhaftigkeit" bekannt. Aber wenn du das wirklich eine Weile durchgezogen hast, wirst du feststellen, dass du immer weniger oft wirst ermahnen müssen, denn sie wissen, das was chicelita androht, zieht sie auch durch.

Deswegen allerdings gleich ans Abbrechen zu denken ist etwas extrem, denn solche Klassen (und deutlich schlimmere) werden dir immer wieder begegnen. Zu dem Job gehört nun mal auch das Erziehen und das ist gerade in Klasse 7, 8, 9 echt nervtötend, das kennen wir. Das ist aber auch Teil des Jobs. Und in den meisten Fällen kriegst du diese Haufen über Konsequenz dann tatsächlich.

Achte bei so Klassen auch darauf, dass die Unterrichtsgesprächsphasen gut strukturiert und nicht zu lang sind. Du musst sie nicht mit Aufgaben zuballern, aber zu glauben, eine 7. Klasse könne konzentriert ein 20-minütiges oder längeres Unterrichtsgespräch aufrecht erhalten... das funktioniert nur mit sehr wenigen Klassen. Arbeite meinetwegen viel mit Gruppenpuzzle und nach Think Pair Share, so dass sie sich auch viele neue Sachen erzählen müssen und nicht quasi nur das gleiche vorkauen. Kündige an, dass du nach T-P Phasen selber Schüler drannehmen wirst, so dass sie alle drauf vorbereitet sind, dass sie dran kommen könnten. Durch die Pair-Phase können sich die Unsicheren dann absichern und du stellst nicht einfach nur die Unaufmerksamen bloß (das fühlt sich ja immer so gemein an), sondern sie haben eine faire Chance. Du hast ja auch die sagenumwobene "Holschuld".
Hab viele Phasenwechsel drin. Kurzer Impuls, Partnergespräch, zwei, drei Meinungen, Erarbeitung in Einzelarbeit, Zeiten nicht zu großzügig bemessen, Austausch mit Partner (evtl. eben nicht der Sitznachbar, sondern der in der Reihe dahinter oder so), Gespräch im Plenum, Meinungslinie (wenn sie halbwegs funktionieren).

Und im schlimmsten Fall: Plane "nette" Sachen (eben nicht viel Schreiben, sondern viele kleinere Diskussionsphasen, kreative Aufgaben..) und wenn es die gesamte Klasse ist, male meinetwegen einen Smiley und drei Herzen an die Tafel, wird es zu laut/ unruhig, Smiley auf "traurig" = ein Leben weg, wenn drei Herzen weg sind, sofort abbrechen und alles schriftlich. (Das Konzept klingt albern, hat aber eine 6. Klasse so entwickelt - die Grundidee war meine, sie haben das mit den drei Leben / Herzen erfunden).

Aber wichtig ist eben, dass deine Stunden nicht zum Großteil nur aus Unterrichtsgespräch bestehen. Da geht dir i.d.R. auch die bravste 7 irgendwann flöten... (wenn man "Glück" hat, nur in die innere Emigration, mit Pech eben verbal in die äußere)

kecks
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Re: Chaosklasse - die Selbstzweifel beginnen

Beitrag von kecks »

das wird schon. du lernst gerade classroom managment, und bis du das kannst - sicher, routiniert und stabil kannst - bist du eben heillos überfordert. das wird schon, dauert aber und erfordert sehr viel harte arbeit von deiner seite. dazu gehört auch emotionale arbeit: erziehen bedeutet, in konflikte zu gehen, und das muss man erstmal aushalten lernen. richtig sicher und gut läuft das erst auch nach ein paar jahren praxis...

bleib dran, arbeite weiter, nicht verzweifeln. everything worthwhile is hard. auch unterrichten.

chicelita
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Re: Chaosklasse - die Selbstzweifel beginnen

Beitrag von chicelita »

Danke euch beiden schonmal für die aufmunternden Worte...
Viele Phasen- und Methodenwechsel sind ein guter Hinweis. Ich plane meine Stunden tatsächlich noch sehr lehrerzentriert, weil ich im Moment schon bei der Stundenplanung mit Materialien, Arbeitsaufträgen und - überhaupt Ideen für den Unterricht - extrem gefordert bin. Das dauert Stunden und wirklich rum kommt dabei nichts überwältigendes...
Mal sehen, wie die morgige Stunde verläuft, wenn auch mein Betreuungslehrer anwesend ist. Ich werde versuchen meine Ansage mit Verwarnung, beim 2. mal Nacharbeit trotzdem durchzuziehen. Spätestens nach ein paar Nacharbeiten, sollte es ihnen doch irgendwann aufgehen, dass es besser ist die klappe zu halten.
Ist halt nur schwer, die "schuldigen" rauszupicken, wenn so viele schwätzen
Aber an irgendwem muss ich halt dann ein Exempel statuieren?

Herrlich ist halt auch, dass ich die Klasse 5./6. Stunde in einer Doppelstunde hab

krabappel
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Re: Chaosklasse - die Selbstzweifel beginnen

Beitrag von krabappel »

Ich finde ehrlich gesagt, du machst es dir ein bisschen einfach. Die erfahrenen Kollegen sagen dir alle, dass du mit zügigem Arbeiten und viel Schreibarbeit gut zurecht kommen kannst und du sagst einfach nö, ich will aber richtig Lehrersein spielen?
Dann versuchst du konsequenter zu sein, es klappt nicht sofort und gleich meinst du, jegliche Autorität verspielt zu haben, hast keine Lust mehr auf Unterrichtsvorbereitung und möchtest am besten gleich abbrechen?

Sich durchzusetzen IST Lehrersein. Erst dann kannst du nämlich anfangen zu unterrichten, Beziehung zu gestalten, Theaterstücke einzuüben oder woran immer du Spaß hast.
Wenn du nach ein paar Wochen schon im Burnout bist, dann läuft wirklich was schief. Aber bevor du aufgibst, würde ich dir raten, erst mal richtig anzufangen. Und dazu gehört, auf die Kollegen zu hören, eine Vorgehensweise wochenlang gezielt auszuprobieren, die Stunden lückenlos vorzubereiten und zu hospitieren was der Stundenplan hergibt.

Als erstes Ziel: Plane die Zusatzaufgaben (Abschreiben im Buch, nichts, bei dem du viel Arbeit hast) und die Zeit, wann die Schüler nachholen, gleich ein. Eine Stunde in der du und die Schüler können und vor der du vorher noch die Eltern informieren kannst. So musst du nicht zögern, sondern stellst gleich klar: letzte Ermahnung, sonst Freitag 7. Stunde. Und dann mach das, selbst wenn 10 Leute kommen müssen. Und rufe die Eltern an.

kecks
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Re: Chaosklasse - die Selbstzweifel beginnen

Beitrag von kecks »

es klingt nach bayern gymnasium: da gibt es ein genau geregeltes vorgehen für nacharbeiten. die eltern sind schriftlich zu informieren, ein bestimmter zeitlicher vorlauf muss eingehalten werden, das geht über die post der schule und der rücklauf muss unterschrieben speziell abgeheftet werden blablubb. viele schulen haben zudem intern noch weitere regelungen dazu. als refi da auf gar keinen fall eigenmächtig was anderes machen.

will heißen: halte dich an deine betreuungslehrer und seminarlehrer, die helfen dir da weiter, auch in der formulierung der einladung, das muss rechtlich sauber sein (z.b. meist nacharbeit nicht als disziplinierungsmittel, sondern ausschließlich zum nachholen von versäumten; "wegen fortlaufender unterrichtsstörung" geht dann nicht). oft ist auch eine kleine förderzusatzaufgabe (mit unterrichtsbezug, muss korrigiert werden, am besten vorab vorbereiten) für einzelne für dich zeitsparender als nacharbeit (außer die ist zentral organisiert).

wenn ihr es eingerichtet habt bzw. du das darfst: versuch's mit früharbeit um 7.00 uhr. oft wirksamer als nacharbeit am nachmittag.

zum hospitieren: setz dich bei kollegen, die dir das erlauben (wähl sympathische aus), viel hinten rein und schreib dir mit, wie sie mit den schülern interagieren: wo stehen sie, wenn gestört wird? wie früh bemerken sie störungen, und was tun sie dann? (methodenwechsel, ansprache einzelner, umsetzen, auf schüler zugehen, leise ansprechen, auf den tisch klopfen, blickkontakt, stimmodulation, sprechpause... was weiß ich nicht alles). such dir da für dich passendes aus und übe es ein, bis du es automatisiert machst.

generell: im ersten abschnitt ist es echt okay, wenn manches noch nicht klappt, solange du potential zeigst und dich beraten lässt/das versuchst, auch umzusetzen. im einsatz klappt es dann schon besser und im dritten abschnitt zeigst du, was du kannst.

chicelita
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Re: Chaosklasse - die Selbstzweifel beginnen

Beitrag von chicelita »

@krabappel: Ich möchte nicht "richtig Lehrersein" spielen. Außerdem gebe mir sehr viel Mühe und sitze stundenlang über der Vorbereitung. Das mit den vielen Übungen und Aufgaben klappt gut in Fächern wie Latein, Englisch, Mathe etc. in Deutsch finde ich gestaltet sich das schwieriger.
Und die Schüler viel schreiben lassen, wie es mein Betreuungslehrer gemacht hat, ist sicher eine Möglichkeit - bei ihm war es aber auch nicht viel leiser und geordneter im Unterricht als bei mir. Mit dem Ergebnis, dass sie jetzt auch noch jedesmal motzen, wenn sie schreiben müssen.

Ich weiß, dass Disziplinierung im Lehrberuf einen großen und wichtigen Aufgabenbereich darstellt. Nur bin ich jetzt - nach zwei Wochen (!) eigenverantwortlichem Unterricht - heillos überfordert mit der Klasse und gehe jedes mal fix und fertig und desillusioniert aus dem Unterricht. Vielleicht sollte ich es als "persönliches Trainingsfeld" ansehen, mich in der Klasse zu behaupten, aber das ist eben auch nicht immer einfach, gerade nach so einer Stunde wie heute wieder...

@klecks: das mit der Nacharbeit ist mit meinem Betreuer bereits abgesprochen, er findet es in Ordnung. Tatsächlich ist es dann eine "Vorarbeit", die von der Schule zentral organisiert ist. Ich hospitiere so viel wie möglich bei anderen Deutschlehrern. All diese "Tricks" kenne ich bereits und wende sie auch selbst an. In meiner anderen Klasse (eine 8.) ist das auch alles kein Problem.

Das große Problem, das ich im Moment habe, ist, dass es nicht 3-4 Schüler sind, die den Unterricht stören sondern etwa die Hälfte der Klasse. Die paar braven fallen dann einfach raus, bzw. fangen dann irgendwann auch an zu quatschen - was ich sogar verstehen kann

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