Wozu gibt es Mentoren?

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
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tiger
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von tiger »

Löwenherz hat geschrieben:grundlegend erforderlich, (...) die frühkindliche Bildung in den Fokus zu nehmen. Was da verpasst wird, kann nunmal auch das fairste Schulsystem mit den engagiertesten Lehrern kaum noch auffangen.Da würde es uns gut zu Gesicht stehen, den Kindergarten zu einer verpflichtenden und damit kostenfreien Veranstaltung zu machen und auch die Kita komplett kostenfrei zu gestalten
Wenn ich mit Erziehern aus Kindergärten darüber spreche, höre ich meistens: Bei manchen Kindern, die im Alter von drei Jahren zu ihnen kämen, sei der Zug schon abgefahren. Die Rückstände in der sozial-emotionalen Entwicklung, in der Sprachentwicklung, in der motorischen Entwicklung usw. könne man zu einem so späten Zeitpunkt schon nicht mehr aufholen. Konkret bedeutet das etwa, dass sich die Kinder auf nichts mehr konzentrieren können, nicht in der Lage sind, ihre eigenen Bedürfnisse kurzzeitig zurückzustellen, nicht aus einem Becher trinken können sondern bestenfalls aus der Schnabeltasse und vieles mehr. Als Ursachen werden mehrheitlich Erziehungsmängel auf der Elternseite gesehen. Beispielsweise würden sich viele Eltern (eher die jungen, bildungsfernen) viel lieber und ausdauernder ihrem Smartphone zuwenden als ihren Kindern. Die übliche Zuwendung (Spielen, Vorlesen, Einschlafrituale) unterbliebe, die Kinder würden einfach sich selbst überlassen, kämen morgens ohne gefrühstückt zu haben in den Kindergarten, hätten dafür aber bereits eine Stunde Fernsehkonsum hinter sich (damit sie die Eltern nicht beim Frühstück stören).

Die Grundschulkollegen ihrerseits erzählen mir, dass viele ihrer Schüler schon bei der Einschulung so große Rückstände hätten, dass diese mit den Mitteln der Schule und in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr aufgeholt werden könnten. Insgesamt werden die Entwicklungsdefizite im Laufe der Zeit sogar größer. Ich wiederum stelle bei den Fünftklässlern fest, dass viele sich für den Mittelpunkt der Welt halten, ihre Mitschüler nicht ausreden lassen, keine fünf Minuten still auf einem Stuhl sitzen können etc. etc.

Wie man dem begegnen soll, weiß ich auch nicht. Im Grunde sind Forderungen nach kostenlosem, verbindlichem und möglichst früh beginnendem Krippen-/Kindertagesstätten-/Kindergarten-/Vorschulbesuch naheliegend, um den schädlichen Einfluss mancher Elternhäuser abzumildern oder auszugleichen, aber gleichzeitig bedeutet das eine Entfremdung der Kinder von ihren eigenen Eltern.

tiger
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von tiger »

Fränzy hat geschrieben:Ist zwar off Topic, aber mein Vater war Maurer und alle seine 4 Kinder haben studiert. Meine jüngste Schwester ist sogar an einer höheren an einem BM. Mein Vater ist definitiv sehr intelligent. Von daher stimmt es zumindest für Migranten nicht unbedingt.
Ich durchschaue zwar nur den ersten und den dritten Satz inhaltlich und den Zusammenhang gar nicht, aber ich vermute, hier wird eine Anekdote (also eine Einzelfallschilderung) bemüht, um eine Aussage über Populationsmerkmale zu entkräften.

So etwas begegnet mir immer wieder als Argument, aber ich verstehe nicht, was damit eigentlich belegt werden soll. Niemand bestreitet, dass es Ausnahmen und Extremfälle gibt. Selbstverständlich gibt es dumme Eltern mit schlauen Kindern, schlaue Eltern mit schlauen Kindern, dumme Menschen mit Studienabschluss, schlaue Menschen ohne Studienabschluss und alle anderen denkbaren Kombinationen, aber wir reden doch über die Frage, ob es an einem ungerechten Bildungssystem liegt, wenn überproportional viele Akademikerkinder unter den Studenten zu finden sind.

Ich glaube, wie oben geschrieben, dass es nicht nur am Bildungssystem liegt, sondern auch an genetischen Einflüssen. Darüber hinaus sehe ich in meinem Alltag häufig, dass gebildete Eltern ihre Kinder tendenziell stärker im akademischen Bereich unterstützen, weil sie erstens dazu in der Lage sind und der Bildung zweitens einen höheren Stellenwert beimessen als bildungsferne Eltern. Das ist auch nicht gerecht im Sinne einer Gleichverteilung der Bildungschancen, aber man kann diese Ungerechtigkeit schlecht der Bildungspolitik vorwerfen.

Fränzy
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von Fränzy »

Ich glaube nicht, dass meine Familie ein Einzelfall ist. Ich finde auch, wenn es auch nur 20 bis 30 Prozent wären, die die Umwelt ausmacht. Selbst dann lohnt es sich!
Für Migranten stimmt die Argumentation auch nur bedingt. Die erste Generation musste schlicht schnell Geld verdienen, ggf Deutsch lernen. Schwierig dann mit Studium. Die zweite Generation wurde zum Teil abgestempelt und auch zum Teil unzureichend von den Eltern gefördert, weil die gar nicht kapieren, wie das System funktioniert und auch weil das Geld nicht so locker sitzt. Rückschlüsse auf die genetische Ausstattung sind da zumindest fragwürdig.
שָׁלוֹם

Bender5
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von Bender5 »

Löwenherz hat geschrieben: Was die "inflationäre" Vergabe von 1,x (in Schule oder Studium) anbelangt: Sicherlich gibt es die in Einzelfällen. Der Vorbereitungsdienst für gymnasiales Lehramt in BaWü ist ein Stück weit so ein Fall aktuell: Da es kaum Stellen gibt bei hohem Bewerberüberhang (darf ja jeder machen mit Studienabschluss LA Gym) werden nur die Besten eingestellt. Um guten Kandidaten eine Chance im Verfahren zu verschaffen, wird da durchaus mal ne halbe Note besser benotet (Argumente lassen sich bei Grenzfällen ja schnell finden), da jeder weiß, dass jenseits der 1,x kaum eine Fachkombination benötigt wird. Die Schulen haben also die freie Wahl unter Fluten an Bewerbern, die den Noten nach alle herausragend sind (kein anderer Vorbereitungsdienst in BaWü generiert derart viele exzellente Abschlüsse; kein anderer Schulbereich in BaWü hat aber auch einen derartigen Bewerberüberhang, bei allen anderen herrscht eher Mangel in unterschiedlichem Ausmaß, auch eine realistische 2,x (GS/ SBBZ: 4,0) im Examen führt also in den Beruf).
Einzelfall würde ich die Noteninflation (und eine Inflation der Leute mit Abitur) nun wirklich nicht nennen, ganze Bildungssysteme einiger Bundesländer wurden darauf ausgerichtet.
Sieht man ganz schön, wenn man in die Voraussetzungen zur Abiturzulassung vor 10 Jahren und heute schaut. Nur zwei Beispiele aus meinem Bundesland:
2005: 3 rote Noten dürfen in der Oberstufe eingebracht werden, ab der 4. war man weg.
2018: 7 rote Noten dürfen in der OBerstufe einbracht werden, ab der 8. ist man weg.

-> leichter heute durch die Oberstufe zu kommen als damals.

2016: "alte" Notentabelle 85% bedeutet Note 12
2018: neue Notentabelle 85% bedeutet Note 13

-> alle Lehrer die ihre Klausuren nicht grundlegend hinsichtlich der Anforderungsbereiche abändern, produzieren bessere Schulnoten.

Das könnte man um einiges weiter fassen... Seminarfächer, die i.A. üerdurchschnittlich gute Noten zur Ersetzung schlechterer Leistungen produzieren, Kürzungen der Abiturprüfungen in den Naturwissenschaften (Herleitungen der Formeln nicht mehr nötig) usw.

Man sollte eventuell mal wieder von der Vorstellung abrücken, dass jeder Abitur haben und studieren muss, sondern auch Ausbildungsberufe wichtig sind. Sieht man derzeit ganz gut an einem Fachkräftemangel in eingen Bereichen und einem Überangebot in anderen Bereichen...

tiger
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von tiger »

Bender5 hat geschrieben:ganze Bildungssysteme einiger Bundesländer wurden darauf ausgerichtet
Klar, das ist politisch gewollt.

Ich nenne ein paar Beispiele aus meinem Bundesland:

Die verbindliche Grundschulempfehlung wurde abgeschafft. Ein Gymnasium hat keine Handhabe, einen Schüler wegen schlechter Noten im Grundschulabgangszeugnis nicht aufzunehmen, die Eltern können das – auch gegen alle gut gemeinte Beratung – erzwingen. Früher hätte man kein Kind mit 3en in allen Hauptfächern zum Gymnasium geschickt, heute hat ein Viertel unserer Schüler solche Noten.

In der Abiturprüfung wurde eine sogenannte Präsentationsprüfung eingeführt, die die Schüler zu Hause vorbereiten können, weil sie das Thema zwei Wochen vor der Prüfung erfahren. In anderen Bundesländern gibt es das schon länger. Folge: Die Schüler plagiieren Powerpoint-Präsentationen aus dem Internet oder lassen sich von den Eltern/vom Nachhilfelehrer/... helfen und spulen eine Präsentation ab, von der sie inhaltlich keine Ahnung haben und keine einzige Nachfrage beantworten können. Da sie aber zumindest etwas vorbereitet haben, bekommen sie dafür schon 5 Notenpunkte und haben somit bestanden. Oder mit anderen Worten: Durchfallen geht eigentlich nur noch, wenn man gar nicht erst zur Prüfung antritt.

Weiteres Beispiel: Abiturprüfungsaufgaben müssen materialgestützt sein, etwa in den Fächern Biologie und Chemie. Heißt, dass zur Aufgabenstellung zwingend Tabellen, Fachtexte, Diagramme usw. gehören müssen, damit auch Schüler, die überhaupt nichts wissen, eine Chance haben, die Prüfung mit der Mindestpunktzahl zu bestehen, indem sie das Material beschreiben oder die Aufgabenstellung paraphrasieren. Vor fünf Jahren wurde in den Prüfungsaufgaben etwa folgendes verlangt: "Stellen Sie dar, wie ...". Dazu musste man etwas wissen und sein Wissen auch strukturieren können. Heute lautet die Aufgabenstellung zum gleichen Thema "Lesen Sie Material 1 und beschriften Sie damit die Abbildung in Material 2."

Noch ein Beispiel: In den modernen Fremdsprachen wird die Bewertung der sprachlichen Richtigkeit (Rechtschreibung und Grammatik) immer weiter zurückgefahren. Es geht nur noch darum, ob man verstehen kann, was gemeint ist. Ob ein Französischlerner im vierten Lernjahr in seinen Texten zwischen Präsenz und Futur, zwischen Indikativ und Konjunktiv oder zwischen Aktiv und Passiv unterscheiden kann, spielt damit keine Rolle mehr.

Qualitätsgarant
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von Qualitätsgarant »

Ihr sprecht beide von BW, oder? :)

tiger
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von tiger »

Ich spreche von Niedersachsen. Dass BW beginnend mit der Oberstufenreform von 2000 einen beispiellosen Absturz erlebt hat, kann man regelmäßig in der Presse lesen. (Die Präsentationsprüfung gibt es da tatsächlich schon länger.) In Niedersachsen war die Situation schon vorher nicht gut und hat sich eher gleichmäßig verschlechtert, aber nicht exponentiell wie in BW.

Die Strategie ist aber in allen Bundesländern die gleiche:

Das Ministerium identifiziert Bewertungskriterien, die gewissermaßen das derzeitige Nadelöhr für gute Noten darstellen. Bei Deutschaufsätzen etwa hat man schnell gemerkt, dass man den Inhalt großzügig bewerten kann, ohne dass es auffällt, aber Rechtschreibfehler bleibt eben Rechtschreibfehler. Also schafft man die Bewertung der sprachlichen Richtigkeit ab, bewertet nur den Inhalt und schwupps, schon werden die Noten besser. Die Schüler lehnen sich natürlich entspannt zurück und kümmern sich nicht mehr um die Rechtschreibung, weil diese ja offensichtlich nicht wichtig sind, und weiter geht die Abwärtsspirale ...

Im Mathematikunterricht lag das Nadelöhr vor zwanzig Jahren im Beweisen mathematischer Aussagen. Folglich hat man diese Kompetenz im Wesentlichen abgeschafft. Der Operator "Beweisen" kommt kaum noch vor. "Berechnen" und "bestimmen" sind auch stark auf dem Rückzug. Stattdessen wird im Mathematikunterricht heutzutage "beschrieben", "begründet", "beurteilt" und - wenn es ausnahmsweise um etwas Quantitatives geht - "ermittelt", wo das Letztere teilweise so aufgefasst wird, dass man irgendwie zu einer halbwegs plausiblen Lösung kommen soll, also auch durch Raten, durch Googlen, durch Taschenrechnereinsatz ...

Die Folge ist, dass mittlerweile Neuntklässler das hessische Biologieabitur bestehen können, wie Hans Peter Klein gezeigt hat. In zwei Jahren Biologieunterricht in der Oberstufe lernen Schüler also offensichtlich nichts, was inhaltlich oder methodisch zum Bestehen des Abitur nötig ist.

Und wenn jetzt jemand sagt, das wäre alles gar nicht so und ich würde nur meine Erinnerung verklären: Bestimmt nicht, die ganzen Lehrbücher und Prüfungsaufgaben von den 80er Jahren bis heute stehen bei mir im Regal. Der Anspruch kennt nur eine Richtung: abwärts.

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