Ständig frustriert

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
Moffa
Beiträge: 1
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Ständig frustriert

Beitrag von Moffa »

Hallo zusammen!
Ich befinde mich im zweiten Ausbildungshalbjahr an einer Schule, an der sich objektiv betrachtet sehr pflegeleichte Schüler befinden. Dennoch bin ich selbst permanent frustriert. Hauptgründe scheinen zu sein:

1) Unterrichten macht mir keinen Spaß. Der Drang, anderen etwas beizubringen, ist bei mir nicht halb so ausgeprägt wie der Wunsch, selbst neue Erkenntnisse in meinen Fachbereichen zu gewinnen.
2) Menschen mit Noten von 1 bis 6 zu versehen, empfinde ich als eine bodenlose Frechheit. Ich habe mich noch in meinem 1. Staatsexamen mit Prüfungsdidaktik beschäftigt und weiß, dass Noten in den allermeisten Fällen nichts aussagen. Aber darum geht es im Kern gar nicht. Wie lässt sich moralisch eine Einstufung von 1 bis 6 begründen? Und ich schreibe dies, obwohl ich selbst mit einer 1,0 aus der Examenszeit gegangen bin. So what!? Bin ich darum ein besserer Mensch? Bin ich ein Alpha? Ach Gott, ist das armselig... Wieso redet darüber niemand?
3) Darf man sagen, dass man Kinder nicht gerne unterrichtet? Ich habe mir im ersten Ausbildungshalbjahr derartige Gedanken verkniffen, weil ich dachte, dass dies der Aussage "Ich esse Kinder auch gern mal auf" gleichkommen würde. Ich bin nicht herzlos. Im Gegenteil kann ich gut verstehen, dass Kinder angeödet sind, wenn sie beispielsweise im Nu erkennen, dass die landeskundliche Einheit in ihrem Englischlehrwerk nur als Staffage für die Vermittlung von Konditionalsätzen benutzt wird. Kinder merken solche Dinge immer. Machen wir uns da nichts vor.
4) Arbeit bis zum Abwinken. Ich habe stets viel gearbeitet. Das ist nichts Neues für mich. Aber so wenige Erfolgserlebnisse waren noch nie damit verbunden.
5) Weil ich am Sinn des Unternehmens `Regelschule´ zweifele, bin ich wohl auch im Unterricht alles andere als überzeugend. Manche Kinder tanzen mir auf der Nase herum. Das wiederum tut mir weh, weil ich ja eigentlich auf ihrer Seite bin und nicht will, dass sie verheizt werden. Wofür all der schulische Stress, wenn längst bewiesen ist, dass die Sprösslinge der oberen 10000 ohnehin später in der Regel die besseren Karten haben? Da gab es nach Bourdieu auch in Deutschland einige Studien.
Wenn ich nicht schon über 30 wäre und eine Alternative sähe, hätte ich gestern schon meinen Dienst quittiert.

Derartiges habe ich hier noch nicht gelesen. Stehe ich mit den dargelegten Gedanken allein da?

Viele Grüße
Moffa

paro
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Beitrag von paro »

Nein, Moffa, ich hab solche Gedanken auch.
Nur denke ich mir:
Die Zustände sind übel und die Regelschule funktioniert nicht. Da ist Fakt. Wenn aber die Lehrer selbst nichts daran ändern, wer dann?
Ich persönlich versuche, die Zustände für meine Schüler so angenehm wie möglich zu machen.
Aber Du kannst nie alle erreichen, leider.

Punkt Noten:
Noten sind nie ganz objektiv.
Aber: Meine Schüler wissen, wie ich benote, ich bespreche die Kriterien- die Benotung ist also nachvollziehbar für sie und sie wissen, was sie für eine gute Note machen müssen.
Schrecklich finde ich, wenn die Kinder denken, Lehrer würfeln die Noten... Und wenn sie denken, der Lehrer gibt denen, die er mag, eine Eins.

Wirklich schwierig für Dich ist es sicher, wenn dir das Unterrichten an sich kein Spaß macht. Dann würde ich mir überlegen, ob ich nicht NACH dem Ref was anderes machen will.
Ref 06/07, seit 10.9.07 Junglehrerin HS

interstella
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Re: Ständig frustriert

Beitrag von interstella »

Moffa hat geschrieben: 4) Arbeit bis zum Abwinken. Ich habe stets viel gearbeitet. Das ist nichts Neues für mich. Aber so wenige Erfolgserlebnisse waren noch nie damit verbunden.
Das mit den Erfolgserlebnissen ist in anderen Jobs meines Erachtens viel schwieriger. Negative Beispiele:

- unmittelbarer Vorgesetzter sackt sich den Lob für deine Arbeit ein
- Kunde bekommt deine Empfehlung und will dennoch alles anders und schlechter
- Chef sagt, sicher darfst du deine Meinung sagen, aber ICH entscheide (und das nicht immer im Sinne der Firma, des Projektes, der Angestellten, des Kunden usw.)

Ich habe etwa 15 Jahre in der freien Wirtschaft in unterschiedlichen Bereichen hinter mir und finde die (wenigen) Erfolgserlebnisse als Lehrer durchaus angenehm, denn ich kann sie auschließlich meinen Schülern und mir zuordnen.
Das hat was!

Vielleicht hiflt dir das in deiner Frage nach Alternativen?

Kritikpunkte gibt es bei mir auch einige, aber andere als bei dir. Zum Beispiel die kontraproduktive Ausbildung und viele Hindernisse im Schulsystem selbst, wie Arbeitsüberlastung der Junglehrer und Resignation der Älteren usw.... doch das gehört woanders hin....

Noch ein Punkt: die Lust, anderen etwas beizubringen, hat für mich auch etwas damit zu tun, mein Wissen ständig auszubauen. Sonst unterrichte ich Veraltetes und wenig innovativ. Habe ich neues Wissen erworben, gehe ich selbst auch mit mehr Begeisterung dran und das färbt auf die Schüler ab. Ist der Entwurf von jemanden anderen nur abgekupfert oder etwas wohinter ich nicht stehe, ist es nicht meins und macht wenig Spaß. Nur als Beispiel.

Ansonsten spricht doch nichts dagegen, die Ausbildung erst einmal fertig zu machen und danach etwas anderes zu tun, oder?

Obwohl ich Bock auf den Job habe und Alternativen kenne, bin ich auch ab und zu in einem Loch und muss mich aufrappeln, da die Ausbildung oft kontraproduktiv ist (man produziert schon viel, aber diese Konditionierung dabei stört ungemein. Es ist einfach kein Wunder, dass nach dem Ref. viele Kollegen in eine "Starre" verfallen, weil man sie während des Refs. auf Stressresistenz konditionieren wollte. Naja, auch das gehört nicht hierher. Sorry, schwadroniere etwas...)

lg
Interstella

Lili
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Beitrag von Lili »

Ich finde das schon schlimm, wenn es dir keinen Spaß macht Kindern etwas beizubringen. Das ist schließlich die Beschreibung deines Jobs mit einem Satz. Dein Job ist, Kindern etwas beizubringen.

Ich will dir nicht auf die Füße treten, aber deine Ausführungen hören sich für mich so an, als wärst du ein typischer Fall von
- für ein - zwei Fächer besonderes Interesse
- keine Idee gehabt, was man mit dem Studium anfangen könnte, als Lehrer werden
- im Ref festgestellt, dass man nicht ENGLISCH-Lehrer ist, sonder Englisch-LEHRER

Solche Lehrer hatte ich selbst am Gym zu Hauf. Die werden nicht glücklich. Die Arbeit, die man macht, macht nun einmal den größten Teil des eigenen Lebens aus. Da kann man nichts machen, was einen ständig frustiert. Meine Meinung.

Hast du mal versucht, einen Job an der Uni zu kriegen?

Landei
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Beitrag von Landei »

Du stehst mit diesen Gedanken nicht allein da! Es geht mir zwar nicht ganz genau wie dir, aber einiges würd ich durchaus unterschreiben!

Piccola
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Beitrag von Piccola »

Ich unterschreibe Landeis Beitrag!!!

Hm, Lili, du meintest es bestimmt nicht so hart wie es klingt, aber ich denke, dass man niemandem Vorwürfe wegen einer Berufswahl machen sollte.

Ich kenne nur wenige, die schon nach dem Abi wussten, was sie wirklich wollten. Oft hat man auch eine ganz andere Vorstellung von dem Beruf und Praktika geben einem nicht immer einen authentischen Einblick.

Es ist eine Tatsache, dass der Lehrerberuf zunehmend schwieriger und undankbarer wird hier in Deutschland und dass sich bei vielen, auch bei sonst sehr engagierten Lehrern, Frust breit macht auf die lange Sicht.

Es gibt in der Tat Berufe, in denen mehr Zufriedenheit herrscht als im Lehrerberuf. Durch meinen Nebenjob kenne ich ein paar Beispiele aus den Bereichen Management und Marketing.

Viele Akademiker (und natürlich auch Nicht-Akademiker) haben es momentan nicht besonders leicht hier in Deutschland. Nur wenige sind mit ihrem Job und mit dessen Bezahlung zufrieden.

Piccola
Mens sana in corpore sano :-)

SL

Re: Ständig frustriert

Beitrag von SL »

Moffa hat geschrieben:Hallo zusammen!
Ich befinde mich im zweiten Ausbildungshalbjahr an einer Schule, an der sich objektiv betrachtet sehr pflegeleichte Schüler befinden.
Mensch Moffa, das ist doch toll, das hätten wir auch gern.
Moffa hat geschrieben:Dennoch bin ich selbst permanent frustriert. Hauptgründe scheinen zu sein:

1) Unterrichten macht mir keinen Spaß. Der Drang, anderen etwas beizubringen, ist bei mir nicht halb so ausgeprägt wie der Wunsch, selbst neue Erkenntnisse in meinen Fachbereichen zu gewinnen.
Eigentlich kein Problem, du solltest dann eben nur nicht Lehrer werden.
2) Menschen mit Noten von 1 bis 6 zu versehen, empfinde ich als eine bodenlose Frechheit. Ich habe mich noch in meinem 1. Staatsexamen mit Prüfungsdidaktik beschäftigt und weiß, dass Noten in den allermeisten Fällen nichts aussagen. Aber darum geht es im Kern gar nicht. Wie lässt sich moralisch eine Einstufung von 1 bis 6 begründen?
Also, ich fürchte, da hast du etwas grob missverstanden.
Du sollst bei der Benotung nicht nach moralischen Kriterien vorgehen sondern nach fachlichen. Benotung hat mit Moral nichts zu tun. (Wenn doch, läuft etwas falsch.)
Und ich schreibe dies, obwohl ich selbst mit einer 1,0 aus der Examenszeit gegangen bin. So what!? Bin ich darum ein besserer Mensch? Bin ich ein Alpha? Ach Gott, ist das armselig... Wieso redet darüber niemand?
Nein, du bist deswegen kein bessere Mensch. Ein "Alpha"? Ja, in gewisser Weise schon. Du hast gezeigt, dass du irgendetwas besser kannst als der Durchschnitt. Auf diesem einen Gebiet bist du ein "Alpha", aber eben nur auf diesem einen Gebiet.
3) Darf man sagen, dass man Kinder nicht gerne unterrichtet?
Sagen darfst du das schon, die Frage ist nur, was es dir nützt. Wenn du den Beruf des Lehrers nicht gerne machst, ist das ja nicht schlimm. Ich kenne viele Menschen, die nicht gerne Lehrer wären. Nur sind sie es eben auch nicht.
Und wenn du wirklich der Meinung bist, dass du nicht gerne Kinder unterrichtest, dann solltest du das auch nicht tun.

Wenn du schon mit Moral argumentierst, würde ich es hier tun. Denn die Kinder merken, wenn du deinen Job nur widerwillig tust. Und manche von ihnen werden darunter leiden.
Im Gegenteil kann ich gut verstehen, dass Kinder angeödet sind, wenn sie beispielsweise im Nu erkennen, dass die landeskundliche Einheit in ihrem Englischlehrwerk nur als Staffage für die Vermittlung von Konditionalsätzen benutzt wird. Kinder merken solche Dinge immer. Machen wir uns da nichts vor.
Motivation! Hast du schon mal was von Motivation gehört??
Ob die Kinder das sofort merken und wie sie darauf reagieren hängt entscheidend davon ab, wie du das unterrichtest...
4) Arbeit bis zum Abwinken. Ich habe stets viel gearbeitet. Das ist nichts Neues für mich. Aber so wenige Erfolgserlebnisse waren noch nie damit verbunden.
Man hat aber auch ein bischen das Gefühl, dass du dir das Leben selbst auch ein bischen schwer machst...
5) Weil ich am Sinn des Unternehmens `Regelschule´ zweifele, bin ich wohl auch im Unterricht alles andere als überzeugend. Manche Kinder tanzen mir auf der Nase herum. Das wiederum tut mir weh, weil ich ja eigentlich auf ihrer Seite bin und nicht will, dass sie verheizt werden.
Da bist du sicher nicht allein, das Gefühl kennen viele. Da musst du versuchen etwas strenger zu werden.
Wenn ich nicht schon über 30 wäre und eine Alternative sähe, hätte ich gestern schon meinen Dienst quittiert.
"schon über 30", naja, das ist ja nun nicht uralt...
Überleg dir mal, wie du in 20 Jahren auf dem Zahnfleisch daherkommst, wenn du mit deiner Haltung weiter in die Schule gehst.

Also nochmal, ich will nicht deine Einstellung verurteilen. Es gibt viele Menschen die nicht gern Lehrer sein möchten. Ein Problem ergibt sich nur, wenn sie es sind.

Wenn du meinen Rat haben willst:
Mach deine Ausbildung fertig und überleg dir dann sehr genau, ob du in einem anderem Beruf (wie wärs mit Erwachsenenbildung?) nicht besser aufgehoben bist.

Alles Gute,
SL

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