Gewalt an Schulen

Umfrage und Diskussion über das aktuellste schulpolitische Thema
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admin
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Gewalt an Schulen

Beitrag von admin »

Nicht erst seit den Vorfällen an der Berliner Rütli-Schule wird über die zunehmende Gewalt an deutschen Schulen diskutiert.
Welche Erfahrungen habt ihr mit Gewalt an der Schule gemacht. Welche Ursachen seht ihr für die zunehmende Gewaltbereitschaft unserer Schüler?

Herbie
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Schwierige Schüler

Beitrag von Herbie »

Hallo!

Es ist ein guter Zeitpunkt, über das Thema „Gewalt an Schulen“ zu diskutieren. Auch hier im Forum, denn wir können nicht so tun, als würde uns dieses Thema nichts angehen.

Tatsache ist, daß wir es mit immer mehr schwierigen Schülern zu tun haben. Es ist sicher falsch, alle Schüler über einen Kamm zu scheren und allzu pauschalisierte Aussagen zu machen. Und ich möchte auch nicht alle Schuld auf ausländische Mitbürger schieben. Im Gegenteil: viele Leute aus meinem Bekanntenkreis sind nichtdeutscher Herkunft, und das ist in Ordnung. Doch daß die Integration von Ausländerkindern und ihren Familien als eine Hauptaufgabe gesehen werden muß, bestreitet inzwischen niemand mehr.

In dieser Sache gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Ideen, angefangen von frühzeitigen Deutschkursen bis hin zu massivster Umkrempelung des Bildungssystems, wobei hier sehr kontrovers diskutiert wird.

Erst kürzlich hörte ich jemanden sagen: „Integration ist in Wirklichkeit viel schwerer, als wir uns das alle vorstellen können.“ – Und ich denke, er hat recht.

Ich brauche wohl kaum zu betonen, daß ich kein Patentrezept zur Lösung der Probleme vorliegen habe. Einer Sache bin ich mir allerdings sehr sicher: Die Ganztagseinheitsschule für alle vermag den gewünschten Erfolg nicht zu bringen. Auch wenn sie in diesen Tagen gern als Allheilmittel verkauft wird. Eine staatlich verordnete Einheitsschule wird lediglich dazu führen, daß die „gehobeneren Schichten“ dem staatlichen Bildungssystem in noch stärkerem Maße den Rücken kehren und in die mit Schulgeld belegten Privatschulen flüchten. Außerdem sei an dieser Stelle auch auf Frankreich mit seinem gut ausgebauten Betreuungs- und Ganztagsschulsystem verwiesen.

Die derzeitige öffentliche Diskussion führt gänzlich ins Leere. Die jungen Leute wären nicht bereit zu lernen, weil sie keine vernünftige Perspektive hätten, heißt es. Doch diese Perspektive kann es nicht geben, wenn die Leute nicht lernen ... Und so drehen wir uns im Kreis.

Am Ende wird es auch in dieser Diskussion auf Schlagworte wie bessere Lehrerausbildung, Ganztagsschule, Gesamt-/Einheitsschule hinauslaufen. Und nichts wird besser ...

Das ist eine pessimistische Sicht, ich weiß. Aber es gibt natürlich auch einen sehr positiven Aspekt: Mag die Integration noch so schwierig sein – wenn sie gelingt, ist der wichtigste Schritt getan, und die Leute haben eine wirkliche Lebensperspektive in der hiesigen Gesellschaft. Das belegen schließlich unzählige Beispiele.
Gruß von [color=#008000][b][i]Herbie[/i][/b][/color]

Danny
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Beitrag von Danny »

Ich bin derzeit Referendarin an einer Berliner Oberschule mit dem Förderschwerpunkt "Lernen" in einem Kiez wie die Rütlischule mit ähnlichen Problemen. Wir hatten zufällig am Vortag des "großen Presseaufschreis" eine Lehrerfortbildung zum Thema "Gewalt an Schulen".

Ich hatte bereits mehrere Ansätze unternom-men, dieses Thema hier im Forum anzusprechen und habe es mittlerweile fast
aufgegeben, "Anschluss" zu suchen.
Entweder gibt es hier im Forum keine Referendare, die an derartigen Schulen arbeiten, oder sie wollen sich nicht mit mir austauschen!?!

Lisbeth
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Beitrag von Lisbeth »

Nein Danny, du bist nicht allein.
Jeder trifft an der Schule auf Gewalt. Und wenn es keine Großstadtschule ist, dann vielleicht nicht so gehäuft und massiv, aber DA ist sie und ich denke, sie hat die gleichen Ursachen.

Ich schließe mich Herbie an, dass es kein Allheilmittel gibt. Außerdem können Dinge wie die Ganztagsschule ja auch ganz verschieden mit Inhalten "gefüllt" werden.

Mein momentanes privates Rezept: Einzelfallbetreuung.
In Kleingruppen-Situationen, einem "Problemfall" näher kommen, in den Pausen und Freistunden nicht im Lehrerzimmer sein, sondern mal quer durch die Schule laufen, nicht wegschauen.

Damit alle Lehrer die Zeit und Kraft zu so etwas haben, brauchen wir allerdings ein "Entlastungskonzept".

Gruß Lisbeth

Helene

Beitrag von Helene »

Ich empfehle als Handlungsanleitung und Selbstschutz das Buch:

"Mut zur Macht: Starke Schulen brauchen starke Lehrer - Praktischer Leitfaden zur Ausübung von Macht im pädagogischen Kontext",
Vera Frey, Stephan König; Schneider Verlag Hohengehren, 2005.

ISBN: 3-89676-986-3

Aus dem Klappentext:
„Das steigende Stör- und Gewaltpotenzial an unseren Schulen erschweren zunehmend einen „guten Unterricht“. Die Störer werden dabei durch eine mächtige Lobby, bestehend aus erziehungsunfähigen und anmaßenden Eltern, reform-pädagogisch orientierten Kollegen, inkompetenten Politikern und opportunistischen Medien mittelbar oder unmittelbar geschützt. Die nachhaltige Eindämmung der Störungen ist für leistungsorientierte Lehrer scheinbar nicht möglich. Viele finden sich mit dieser Erkenntnis resignierend ab. Sie reagieren aus Machtlosigkeit mit innerer Kündigung oder sogar Burnout. Doch diese Reaktion muss nicht zwangsläufig sein. Im Gegenteil, es gibt eine einfache und praktikable Methodik, um dies zu verhindern. Sie wird im Ratgeber „Mut zur Macht“ praxisnah erläutert.

Das Autorenteam dokumentiert schlüssig den unauflösbaren Zusammenhang zwischen „Erziehung und Erziehungsmacht“ sowie „Führung und Führungsmacht“. Es folgert zwingend: Der Einsatz von Macht im pädagogischen Kontext ist unabdingbar zur Erfüllung der Aufgaben des Erziehens und Lehrens. Der Lehrer besitzt diese Macht gegenüber Schülern, Eltern, dem Kollegium und der Schulleitung qua Kompetenz, Auftrag und Schulgesetz. Die Autoren erläutern die Wege, mit denen der notwendige „Mut zum Machtbewußtsein“ entwickelt wird. Letzterer ist die notwendige Voraussetzung für eine effektive „Machtausübung“ durch den Lehrer.

Das Autorenteam erklärt praxisnah die wirksamen Methoden und Taktiken des Lehrers zur Herstellung eines ungestörten Lernklimas während des Unterrichts. Es analysiert die Machtspiele der Eltern und Kollegen und beschreibt gleichzeitig effektive Reaktionstaktiken des Lehrers. Eine Vielzahl authentischer Beispiele aus dem Schulalltag illustriert die vorgeschlagenen Handlungstechniken. Die Autoren beschreiben weiterhin die Taktiken eines effektiven Zeit- und Energiesparmanagements als wichtige Grundlagen für ein ressourcenschonendes Arbeiten des Lehrers. Ferner skizzieren sie präventive Maßnahmen zur Minimierung des Störpotenzials.

Mit dem Ratgeber „Mut zur Macht“ wendet sich das Autorenteam sowohl an den angehenden als auch an den berufserfahrene Lehrer. Er hilft ihnen, den Idealismus für ihren Beruf zu bewahren oder ihn wiederzufinden. Der Lehrer erhält eine zielführende Orientierung in einem reformpädagogisch geprägten Schulalltag, der zudem durch eine zunehmende Elternmacht kontraproduktiv beeinflusst wird. Mit dem Einsatz von Macht schützt der Lehrer die leistungswillige Mehrheit seiner Schüler vor Störern und gleichzeitig sich selbst vor Resignation, innerer Kündigung und Burnout.“

Dieser Ratgeber wird auch empfohlen von der Regierung Unterfranken.
www.regierung.unterfranken.bayern.de/im ... r_2_06.pdf
(S. 45 Schulanzeiger/S. 17 pdf-Datei)

sowie von
Die Deutsche Schule (DDS), Jahrgang, 2006, Heft 2 (erscheint im Mai 2006)
www.dds-home.de/dds-das-kommende-heft.doc

Gruß Helene
Zuletzt geändert von Helene am 12.04.2006, 22:44:08, insgesamt 2-mal geändert.

Skara
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Beitrag von Skara »

Guten Abend! Ich stelle Euch mal ernsthaft ein paar Fragen. Liegt es an unserer Ausbildung oder Mentalität, das wir stets der Ansicht sind, Bücher könnten gegen Gewalt an Schulen etwas ausrichten? Bücher zu lesen ist nicht verkehrt, aber bringt uns das gegen die Gewalt an Schulen einen Schritt weiter? Seit wann machen uns Literaturangaben klüger, in kritischen Situationen angemessen zu reagieren? Das hat noch nie funktioniert. Indem wir die Bücher den Schülern an den Kopf werfen könnten, wären wir zumindest in heiklen Momenten sicher vor ihren Angriffen, denn mehr können Bücher in den aktuellen Fragen zur Gewalt nicht beisteuern. Es liegt wohl doch an unserer Mentalität, dass wir keinen Schritt wagen, ohne vorher ein Buch zu lesen. Das ist zwar lobenswert, aber während wir Theorie in Praxis umsetzen möchten, hat ein Kollege längst ein Messer im Rücken oder fliegt vor dem Buch aus dem Fenster. Wie weit man mit tollen Ratgebern und Literaturempfehlungen kommt, sieht man nun in Berlin. Unsere Kollegen sollten weniger lesen und stattdessen intensiver am Leben und den Problemen der Schüler teilnehmen, dann wäre die Situation vielleicht nicht eskaliert. Gewalt ist ein Akt der Aggression und kein Leitfaden kann es verhindern, die Saat des Bösen nicht keimen zu lassen. Niemand hat Gewalt unter Kontrolle, denn Emotionen kann man nicht steuern, nur für einen Zeitraum unterdrücken. So klug, wie viele von uns glauben, sind wir eben nicht, wenn wir es nicht mal ohne Bücher schaffen, ein paar Schüler zur Ordnung zu rufen. Ein Besuch im Zirkus wäre eventuell eine bessere Lektion für uns, sich einer potentiellen Gewaltbereitschaft zu nähern. Im Löwenkäfig eingesperrt zu sein und dazu nur ein paar Bücher? Schnell wird es sich zeigen, wer den Käfig lebend verlassen kann und wer das letzte Kapitel aufschlägt. Fangen wir doch endlich an zu handeln, statt ewig darüber zu lesen und zu schreiben, damit wir uns besser, sicher fühlen. Das Leben ist keine Bibliothek und Schule kein Ort für herzlosen Unterricht. Was nützt uns der trainierte Verstand in diesen Tagen? Fragen wir doch einfach direkt, was Schüler wollen, anstatt zu glauben, was ihnen gut tun würde. Ich habe kein Interesse daran, in der Schule zu sterben, nur weil ein Ratgeber mir falsche Ratschläge erteilt oder ein Buch gegen Gewalt von einem Autor geschrieben wurde, der seine eigenen Kinder schlägt. Jetzt sind die Schüler am Drücker und die machen sich nichts aus bedrucktem Papier.

- Skara

Melodine
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Beitrag von Melodine »

Das mit der Integration seh ich auch so, aber es ist leider nicht immer sehr einfach.
Hier werden Kurse angeboten, dass auch die Mütter von ausländischen Kindern Deutsch lernen können. Nicht alle wollen das. Und die, die wollen, dürfen oft nicht, weil es der Mann verbietet. --> Was soll man da dann machen?

Die Folgen sind Sprachschwierigkeiten bei den Kindern, die jeden weiteren schulischen Erfolg erschweren.

Die Kinder, die in die Grundschule kommen, sind außerdem schon so von Rollenverhalten geprägt, dass es sehr schwierig ist, da Einfluss zu nehmen (7-jährige Jungs, "Frauen haben eh nix zu sagen"; Frau = die Lehrerin).

Dies führt zu schlechten schulischen Leistungen und dann zu Frustration, Perspektivenlosigkeit und Gewalt.

Wie also soll diese Integration aussehen? KANN man überhaupt integrieren, wenn es nur von einer Seite aus geschieht?

Dass Ganztagsschule und bessere Kinderbetreuung die Lösung ist, glaub ich auch nicht. Sicher hilft es, aber in meiner Stadt geschaffene Möglichkeiten für rund-um-die-Uhr-kostenlos Kinderbetreuung für z.B. Hartz IV Empfänger (damit sie arbeiten könnten) werden NICHT genutzt!

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