Eltern als billige Laienlehrer

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Linus
Beiträge: 26
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Nur in Hessen?

Beitrag von Linus »

Das gibt´s doch nicht bloß in Hessen, wenngleich dort vielleicht am extremsten.

Aber Vertretungsunterricht im Rahmen der "verlässlichen Grundschule" gibt es z.B. auch in Niedersachsen.

Das machen dann (manchmal) Eltern und (öfter) Student/-innen.

Läuft doch - ohne jetzt insbesondere die Student/-innen kränken zu wollen - auf das Gleiche hinaus: Die Schüler sitzen bei unqualifiziertem Personal ihre Zeit ab.

Wenn ich´s positiv sehen will, kann ich sagen, dass sie immerhin dann ihre Hausaufgaben machen können...

Und im Handwerk haben wir Angst vor Konkurrenz aus dem Ausland ohne Meisterbrief. Von wegen der Standards... :-(

Es grüßt
Linus

Nachtblende
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Beitrag von Nachtblende »

Die Schüler sitzen bei unqualifiziertem Personal ihre Zeit ab.


Oh, wie unbeugsam ist doch der Wille, reiten zu wollen, auch wenn man Pferde nicht kennt. Ich würde Eltern und Kollegen niemals unterstellen, "unqualifiziert" zu sein. Abgesehen von der Tatsache, dass Eltern von Natur aus für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich sind und dafür keine Bücher erhalten, bedarf es keiner aufgesetzten Blüte, damit die Blume mit Wasser versorgt wird. Lehrer zu sein ist nicht mehr als eine Lektion, die auch von denen gelernt werden kann, die nicht auf Lehramt studieren. Wie viel Theorie wirklich nötig ist, um als Lehrer zu wirken, hängt nicht davon ab, ob Eltern oder Kollegen, zu denen selbstverständlich auch die zählen, die beruflich aus anderen Bereichen kommen, Lehrer verstehen. Es reicht aus, wenn die Schüler sie verstehen und mit dieser Aufgabe sind selbst Lehrer überfordert, die fachlich vorbereitet sind und es dennoch nicht schaffen, ihren Aufgaben gerecht zu werden.

Niemand ist automatisch ein guter Fahrer, nur weil man einen Führerschein erworben hat. Erst durch die Fahrpraxis lernt man die Lektionen, die für das Fahren notwendig sind. Die Sicherheit ist es, die den jungen Fahrer von erfahrenen Fahrern unterscheidet. Kein Qualitätsmerkmal, denn auch der beruflich erfahrene Fahrer kann unverhofft in einen Unfall geraten oder selbst einen verursachen. Aber das Risiko für einen Unfall ist bei denen geringer, die durch Fahrpraxis glänzen, ohne die anderen Fahrer zu kritisieren, die am Anfang stehen oder am Verkehr aus allen Richtungen teilnehmen. Wer dabei das schönere Auto fährt, hat nichts mit den Qualitäten des Fahrers zu tun. Ich begrüße mehr Eltern und Seiteneinsteiger an Schulen, denn um auf neuen Wegen zu fahren, sind Fahrer erforderlich, die alte Wege verlassen. Können und Wollen! Lehrer sind zwar vorsichtige Fahrer, aber die Situation ist doch die, das sie im Stau stecken, weil jeder in dieselbe Richtung fährt. Im Sinne einer optimalen Streckenauslastung müssen auch die Straßen befahren werden, die nicht direkt zum Ziel führen. Das erledigen die anderen Verkehrsteilnehmer und sie machen ihren Job ebenso aufmerksam und richtig, wie die Lehrer, die sich von selbst nicht bewegen würden.

Wer wirklich unqualifiziert ist, hat Hessen mit den Maßnahmen betont, als die Schultore geöffnet wurden, damit Mitbürger zeigen können, was sie können und nicht das, was sie irgendwann mal gelernt haben. Der Blick in den Rückspiegel ist extrem beliebt bei Lehrern, aber wichtiger ist der Blick nach vorn.

[Nachtblende]

Herbie
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Beitrag von Herbie »

Trotzdem – es ist Betreuung, aber kein Unterricht.

Schaf
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Beitrag von Schaf »

Herbie hat geschrieben:Trotzdem – es ist Betreuung, aber kein Unterricht.
Tschuldigung, das ist mir zu pauschal. Ich kenne Leute, die momentan in Hessen auf diese Weise vertreten und ganz normalen Unterricht voprbereiten und durchführen. Dass das Leute sind, die mit Lehramt zu tun haben steht auf einem anderen Blatt.

Liebe Grüße,

Schaf

Nachtblende
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Beitrag von Nachtblende »

Wären Schüler in allen Schulen "betreut", dann wäre das bereits ein großer Fortschritt im Ganzen und darüber wären sicher viele Eltern erfreut. Doch die Umstände, das Mitbürger in den (Schul)betrieb eingestellt werden, um fachlich ausgebildete Pädagogen zu ergänzen und zu ersetzen, zeigt die Lächerlichkeit des Planungsziels und die Geringschätzung der Ausbildung aller Lehrer. Kein seriöses Unternehmen würde Gäste aus anderen Berufen in ihrer Entwicklungsabteilung mitarbeiten lassen und denen eine Verantwortung für den Produktionsprozess übertragen, die ohnehin nur für Stunden anwesend sind. Unternehmen gestalten für ihre Gäste am Tag der offenen Tür eine Führung. Schulen machen eine Gewohnheit daraus und ihre Gäste werden zu Mitarbeitern. In keinem Fall wären die Gäste eines Unternehmens ein Ersatz oder eine Ergänzung für Ingenieure oder andere qualifizierten Mitarbeiter eines Betriebes. Solch ein Irrsinn funktioniert nur dort, wo von Ausbildungsqualität ohnehin nicht gesprochen wird und Qualitätsmanagement als Begriff keine Anwendung findet. Und weil Schüler zwar der Aufsichtspflicht unterliegen (radioaktiver Restmüll auch, aber trotzdem kümmert man sich nicht darum), aber keiner Qualitätskontrolle, schenkt man auch den Mitbürgern, die aus völlig anderen Berufen kommen, ein Vertrauen zur Mitgestaltung. Warum auch nicht? Gesucht werden keine Lehrer, die unterrichten sondern Menschen, die dem Unterrichtsausfall begegnen. Und wenn sich jemand findet, der es schafft, 15 bis 30 Teenager für 45 Min. in einer Klasse zu halten, ohne das sie sich gegenseitig angiften oder auffressen, dann ist für die Welt jenseits der Schultore alles in Ordnung. Es ist (fast) wie bei den Tierheimen. Jeder kennt das Leiden und die Zustände in den Tierheimen, aber viele beruhigt der Gedanke, dass es ein Tierheim gibt und Menschen, die sich darum kümmern. Niemand fragt nach dem "Wie" und "Womit", denn damit beginnen nur Fragen, die von denen gestellt werden, die im Tierheim tätig sind. Der tatsächliche Zustand der Tiere ist vielen Menschen doch unwichtig. Auch Lehrer sind längst auf den Hund gekommen, denn mehr als Aufsicht ist an Schulen nicht drin, oder? Unterricht? Dazu müsste jeder noch einmal geboren werden, aber die Hoffnung erhält den Wunsch am Leben. Selten zuvor war ein Berufsbild so beliebig ausstauschbar wie das des Lehrers.

[Nachtblende]

Herbie
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Beitrag von Herbie »

Hi!

Klick: Zum Thema „Unterrichtsgarantie plus (Hessen)“

Wer möchte, kann sich an Ort und Stelle auch noch den zugehörigen Kommentar zu Gemüte führen. Von meiner Seite jedenfalls gibt es da nichts mehr zu ergänzen ... ;)
Gruß von [color=#008000][b][i]Herbie[/i][/b][/color]

Tanya
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Registriert: 09.01.2006, 6:52:48

Beitrag von Tanya »

Selten hat eine Verordnung an den hessischen Schulen für so viel Unruhe gesorgt wie die "Unterrichtsgarantie Plus". Dass neuerdings pädagogische Laien ohne weitere Ausbildung die Lizenz zum Lehren erhalten, ist für viele Schüler, Eltern und Lehrer schwer erträglich. Trotz aller Widerstände hat Kultusministerin Karin Wolff (CDU) auch diese Verordnung im gewohnten Eilzugtempo durchgesetzt. Und wie schon mehrfach zuvor - beispielsweise bei den Vorlaufkursen für deutschschwache Erstklässler und bei der Einführung von Abschlussklausuren an Haupt- und Realschulen - mussten die Schulen letzte Kräfte mobilisieren, um die Verordnung umzusetzen. Da wurde mit heißer Nadel gestrickt.

Was nun die mühsam rekrutierten Aushilfslehrer berichten, ist dagegen kaum zu glauben. Viele von ihnen, offenbar die meisten, haben zehn Wochen nach Dienstantritt noch keinen Cent ihres Lohns erhalten. Der Grund für diesen Skandal ist leicht zu finden: Das Ministerium hat vorausgesetzt, dass die Schulverwaltung die Abrechnung der neuen Lehrer quasi nebenbei mit erledigt. Hessenweit geht es um die Kleinigkeit von etwa 5000 Leuten.

Das konnte nicht gutgehen. Schulämter und die zuständige Bezügestelle hinken bei den Abrechnungen hoffnungslos hinterher. Hinzu kommt ein Kompetenzwirrwarr verschiedener Ministerien. Die Ministerin aber konnte stolz verkünden, es falle nun kein Unterricht mehr aus. Um die Details muss sie sich ja nicht kümmern.
Ja, herrlich... auch das noch. Mal abgesehen von den immer wieder "köstlichen" Katastrophenmeldungen aus den Schulen, wo's aber sowas von nicht klappt...
Die Beaufsichtigung von sechs Klassen in der Schulbücherei, die Filmvorführung für vier Klassen in der Aula oder die Betreuung von drei Klassen auf verschiedenen Stockwerken durch eine Lehrkraft ("indische Vertretung links und rechts des Ganges") habe mit "Unterricht" wenig zu tun.

Auf Grund der Belastungen hätten mehrere unerfahrene Vertretungskräfte an Schulen im Kreis Groß-Gerau und im Main-Taunus-Kreis schon nach wenigen Stunden "das Handtuch geschmissen" oder werden von den Schulleitungen nicht mehr weiter beschäftigt. Obwohl sich die Schulleitungen intensiv um qualifizierte und erfahrene Kräfte bemühen, wussten die Schulpersonalräte auch vom Einsatz einer 16-Jährigen im Freiwilligen Sozialen Jahr, von Studenten im Anfangssemester, Handwerkern und Hausmeistern zu berichten. Die Vorstellung, dass die ausgebildeten Lehrkräfte einen "Materialpool" erstellen, der dann unerfahrene Kräfte in die Lage versetzt, fachlich qualifizierten Unterricht zu halten, stelle sich auch in der Praxis als "absurd" heraus.

Mit Sorge beobachtet man die Auswirkungen auf das schulische Leben: Musical-Proben werden abgesetzt, das Trainingsraum-Konzept zur Bearbeitung sozialer Konflikte wird gestrichen, die Begleitperson für die Klassenfahrt verweigert.


Schulleitungen seien mit der zeitintensiven Suche nach Pool-Kräften und der Vertragsabwicklung zusätzlich belastet. "Sie stehen unter dem enormen Druck des Kultusministeriums, dass das Projekt mit absoluter Priorität umgesetzt werden muss und übernehmen dann auch noch selbst zahlreiche Vertretungsstunden, um das Kollegium nicht noch stärker zu belasten", berichtet die GEW. Gleichzeitig würden Schwierigkeiten eher vertuscht, weil die Schulleitungen Sanktionen aus Wiesbaden, aber auch negative Auswirkungen für das Image der Schule in der Konkurrenz zu benachbarten Schulen fürchten. "Die Art und Weise, wie die Landesregierung das Vorhaben ohne Rücksicht auf Verluste mit Blick auf die nächste Landtagswahl durchdrückt, hat zu großer Verbitterung und zu einem erheblichen Vertrauensverlust geführt", resümierte Freiling die bisherigen Erfahrungen: Zuerst würden Schulleitungen "zu absoluter Loyalität gegenüber der Landesregierung verdonnert" und dann würden ausbleibende Beschwerden als Beweis für eine "problemlose Umsetzung" gewertet.

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