Lehrer werden in Israel

Abbruch des Ref? Durchgefallen - was dann?
User65
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Re: Lehrer werden in Israel

Beitrag von User65 »

Israel ist für mich ein seltsames und undurchschaubares Land. Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Religionszugehörigkeit hier so eine wichtige Rolle spielt. Es müsste doch eigentlich ein säkularer Staat sein.

Müssen eigentlich auch die nicht-jüdischen israelischen Staatsangehörigen in den Militärdienst?

@Fränzi
Ich hätte vielleicht noch ein paar OT-Fragen. Darf ich sie hier stellen und kannst du sie beantworten?
Man kann auch ohne Alkohol Spaß beim Feiern haben. Aber ich gehe auf Nummer sicher.

Fränzy
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Re: Lehrer werden in Israel

Beitrag von Fränzy »

Hallo,

nein, nicht jüdische Israelis müssen nicht dienen. Drusen und Beduinen dienen aber meist freiwillig.

Du kannst Fragen stellen, ob ich sie beantworten KANN, weiß ich nicht.

Zum Nahostkonflikt nehme ich in diesem Forum keine Stellung.
שָׁלוֹם

nele

Re: Lehrer werden in Israel

Beitrag von nele »

User65 hat geschrieben:Israel ist für mich ein seltsames und undurchschaubares Land. Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Religionszugehörigkeit hier so eine wichtige Rolle spielt. Es müsste doch eigentlich ein säkularer Staat sein.
Es gibt einige Staaten, die in ihrer Verfassungsstruktur säkular gesetzt sind, in denen Religion aber kulturell eine extrem wichtige Rolle spielt - spontan fallen mir die Türkei und die USA ein. In beiden Fällen hat das historische Gründe; in der Türkei wurde bei der Gründung durch Kemal Atatürk ein deutliches Zeichen gegen die Kombination von geistlicher und weltlicher Herrschaft in der Person des Sultans gesetzt. Die Gründung der USA geschah durch eine Kommission weitgehend im Geiste der Aufklärung gebildeter, deistischer Verfassungsväter, die sowohl die zuarbeitende Rolle der Kirchen in der restriktiven Gesellschaft des ancien régime vor Augen hatten, als auch das Konzept des "American Dream" von der Heimstatt für die freie und vom staatlichen Zugriff geschützte individuelle Religionszugehörigkeit. In beiden Fällen löst sich so der Widerspruch zwischen Säkularität und Religiösität auf.

Nele

Fränzy
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Re: Lehrer werden in Israel

Beitrag von Fränzy »

Ich würde Israel auch sicherlich keinen säkularen Staat nennen. Btw wieso müsste er einer sein?

Nicht säkulär weil,
-explizit als Judenstaat gegründet
- Menora als Staatswappen
- blauweiße Fahne (Gebetsmantel)
- sich Israel über das Judentum definiert (geschichtlich bedingt auch verständlich)
- zahlreiche religiöse Institutionen zum Staat (z.B. Oberrabinat und religiöses Schulsystem)
gehören-
- Heirat, Scheidung, Friedhöfe werden von religiösen Instituten verwaltet. Auch Christen sind diesen Institutionen unterworfen, die muslime auch.
- die religiösen Einrichtungen vom Staat finanziert werden
- Schweinezucht ist in israelischen und muslimischen Gemeinden verboten, an Passah darf nichts gesäuertes verkauft werden

Schon in der Unabhängigkeitserklärung steht "jüdischer Staat im Lande Israel"

Außerdem kann jeder Jude nach Israel einwandern.

Also nein, säkulär ist es nicht. Es ist auch nicht gewollt. Jedenfalls nicht von der Mehrheit der Juden in Israel (allein 30% kann man davon der Orthodoxie zurechnen)
שָׁלוֹם

User65
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Re: Lehrer werden in Israel

Beitrag von User65 »

OK! Danke!

Ich brauche etwas Argumentationsfutter für Diskussionen im Freundeskreis:

1) Bedeutet "jüdisch" die Angehörigkeit zu einer Religion oder zu einer Nationalität? Für dich persönlich und für die Juden, die du kennst. (Ich habe Kontakt mit Auswanderen aus der ehemaligen Sowjetunion, und die behaupten steif und fest, das Juden ein Volk sind! Das verwirrt mich. Für mich als Deutschen gibt es keinen Unterschied zwischen Staatsangehörigkeit und Nationalität, und ich glaube, mit diesem Prinzip fährt man ganz gut.)

2) Mit welcher Intensität wurden Juden in der ehemaligen Sowjetunion in der nachstalinistischen Zeit diskriminiert? Wie manifestierte sich diese Diskriminierung im Alltagsleben, und wie unterschied sie sich von der Diskriminierung anderer Minderheiten? (Meine osteuropäischen Freunde behaupten, dass man von einer Diskriminierung überhaupt nicht sprechen konnte, weil sehr viele Juden in führenden Positionen gesessen hätten - und das auch heute noch tun. Diskriminierende Alltagshandlungen bewerten sie wie das deutsche Spötteln über dumme Ostfriesen und träge Schweizer.)

3) Kann man in einem israelischen National- bzw. Reisepass erkennen, ob der Inhaber Jude ist oder nicht?
Man kann auch ohne Alkohol Spaß beim Feiern haben. Aber ich gehe auf Nummer sicher.

nele

Re: Lehrer werden in Israel

Beitrag von nele »

Ich bin schon einigen jüdischen Atheisten - aus dem amerikanischen Bereich - begegnet, die ihr Judentum als kulturelle Zugehörigkeit definiert haben. Eine komplexe und interessante Fragestellung.
User65 hat geschrieben:Für mich als Deutschen gibt es keinen Unterschied zwischen Staatsangehörigkeit und Nationalität, und ich glaube, mit diesem Prinzip fährt man ganz gut.)
Das spiegelt aber ganz und gar nicht die Rolle der Nationalitätenfrage in der Genese des zweiten deutschen Kaiserreiches und damit des des ersten nationaldeutschen Staatsgebildes im 19. Jh. wider! Wo die Grenzen der Deutschen Nationalität liegen, wie die deutsche Nationalität zu definieren ist, und vor allem, welchen Umfang genau ein Nationalstaat Deutschland haben sollte, war ganz und gar nicht klar. Es wurden kulturgeschichtliche Diskussionen geführt - Herder war gerade gestorben, die Grimms schrieben in dieser Zeit ihr Wörterbuch und sammelten als deutsch empfundene Märchen, das Germanentum wurde als "eigene" deutsche Vorgeschichte entdeckt etc. pp., aber heutzutage hat man hauptsächlich die politischen Streitigkeiten um die kleindeutsche und die großdeutsche Lösung in Erinnerung, bei der es um die Frage "Deutschland mit oder ohne Österreich ging." Diese Frage hing wiederum an dem Sachverhalt, dass in Staatsgebieten alles andere als eine national homogene Bevölkerung lebte. Der habsburgische Vielvölkerstaat ist ein Begriff, aber seit dem Spätmittelalter gab es überall in Osteuropa deutsche Siedlungsenklaven, bis hin in den Balkan, ins Sudentenland und nach Siebenbürgen, im heutigen Rumänien und bis nach Russland. 1989 waren es noch in Helmut Kohls Formulierung die "Brüder und Schwestern", die zurück nach Deutschland kehrten - heutzutage sind die Kinder dieser Heimkehrer in der populären Integrationsdiskussion "die Russen".

Eine der Wurzeln des Antisemitismusprolems deutscher Ausprägung liegt in dieser Diskussion von Nationalität. Von organisierter antisemitischer Seite, z.B. von der Antisemitenpartei und vom Kreis um den wilhelminischen Hofprediger Adolf Stoecker wurde systematisch die deutsche Nationalität der jüdischen Bürger bestritten. Umgekehrt war die Mehrzahl der "assimilierten" Juden des zweiten Kaiserreiches extrem Nationalstolz und betonten ihre konservative Deutschnationalität, oft unter dem Hinweis auf ihre Leistungen im Krieg gegen Frankreich. Sie kritisierten wiederum die kulturelle Fremdartikeit der Juden, die nach den zaristischen Pogromen aus Galizien nach Deutschland eingewandert waren. Hier zeigt sich eine Dialektik um Nationalstaatlichkeit und Ausgrenzung, die sich nicht dichotomisch auflösen lässt.

Meiner Meinung nach ist die Frage aber auch heute in Deutschland nicht so einfach zu beantworten: ist ein Inhaber eines deutschen Personalausweises, nicht einmal unbedingt der Inhaber einer doppelten Staatsbürgerschaft, tatsächlich nur deutscher Nationalität, wenn er türkischer Einwanderer ist? Nach seiner eigenen Wahrnehmung genau so wie nach der Wahrnehmung seiner deutschen Mitbürger? Selbstverständlich ist die Sache in der pragmatischen Praxis nicht so einfach - ich denke, ich kann das ganz gut beurteilen, immerhin lebe ich im Herzen des nach Kreuzberg zweitgrößten türkischen Siedlungsgebiets in Deutschland.
(Nach der Dichte pro Quadratkilometer, nicht nach der Gesamtzahl.)

Nele
Zuletzt geändert von nele am 10.01.2013, 17:41:25, insgesamt 1-mal geändert.

Fränzy
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Re: Lehrer werden in Israel

Beitrag von Fränzy »

Hallo,

also in der Sowjetunion galten die Juden als ein Volk. Und diese Volkszugehörigkeit ermöglichte ihnen die EInwanderung an Deutschland. Im Pass war Jude eingetragen. Das ist sozusagen der Nachweis (Witzig daran ist nur, dass dieser Vermerk auch bei Personen eingetragen ist, bei denen nur der Vater jüdisch ist - und die sind im religiösen Sinn auf keinen Fall jüdisch).

Ich sehe es nicht so, aber ich kenne ziemlich viele Ostjuden, die das anders sehen. Ich bin deutsch. Das heißt aber nicht, dass ich mich nicht verbunden mit meiner Religion fühle. Meine Eltern (und früher auch meine Großeltern) fühlen sich vielleicht eher jüdisch. Jedenfalls reagieren meine Eltern häufig sehr sensibel und auch manchmal aggressiv auf alles, was als antisemitisch wahrgenommen wird (und wenn es um den Nahostkonflikt geht auch).

Ich selbst würde sagen, dass ich zum Volk Israel gehöre, aber nicht zum Staat.


Ich würde auch behaupten, dass nicht offen diskriminiert wurde und ich meine auch, dass viele Juden hohe Positionen hatten und haben. Unterschwellig gabs wohl aber auch schon Abgrenzung. (sieht man ja auch schon am Passeintrag, das ist doch echt befremdlich, da in der UDSSR bei den anderen die Religion nicht eingetragen war). Dennoch: die meisten sind aus wirtschaftlichen Gründen hier würde ich sagen. Und manche auch, weil das Gemeindeleben in Deutschland (wieder) lebhafter ist, als es im Osten möglich war. Wenn ich meinen Vater richtig verstanden habe, blieb man unter sich (er kommt aus einem kleinen Kaff in Moldawien). Meine Mutter hat dagegen auf jeder Hochzeit getanzt und es war egal mit wem, sie stammt aus Odessa, also einer Großstadt am Meer. Es ist eben nicht überall gleich. Egal, hier in Deutschland war das sowieso anders, bei uns im Wohnblock gabs 80 Nationen und Ende der 70er gabs hier auch keine nennenswerte Gemeinde. Sprich: meine Eltern waren auch nur Exoten unter Exoten.

Das mit dem Pass weiß ich nicht genau. Ich meine, dass bei meiner Schwester keine Religion eingetragen ist, aber dafür prangt die Menora überall drauf.
שָׁלוֹם

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