Dieser Druck

Konstruktive Kritik - das Referendariat muss reformiert werden! Eure Vorschläge...
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toemti83
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Beitrag von toemti83 »

Wenn man es dann immer noch schafft, z. B. eine ordentliche Binnendifferenzierung, eine Filmsequenz, ein Rollenspiel und drei bunte Folien vorzubereiten, ist das natürlich sehr gut - aber bitte alles in 45 Minuten Vorbereitung. Mehr Zeit ist ja später auch nicht da! Oder etwa doch!?
vielleicht nicht grad bei einer normalen lehrbuchstunde o.ä. aber wenn ich da mal nur an die naturwissenschaften denke, sachunterricht in der GS, dann wirds da schon schwierig. da wird oft mit materialien gearbeitet, die man nunmal nicht in der schule rumliegen hat. wo man möglicherweise mal eben in den supermarkt fährt um das zu holen was man braucht oder in der natur sammeln muss. oder die kinder sollen material mitbringen (ist ja alles im alltag der fall)

für mich wäre das speziell in diesem fach eher kontraproduktiv, da ja immer gepredigt wird anschaulich zu arbeiten und möglichst konkretes anschauungsmaterial mitzubringen. sprich: lieber den lebendigen hund (krass gesagt) als ein foto davon...
von chemischen oder physikalischen experimenten mal ganz zu schweigen

abgesehen davon, würde dieses "in bestimmten zeitsequenzen vorbeischauen" einfach nur die vorbereitung erweitern. man würde nun nicht mehr eine einzelne stunde bis ins kleinste detail mit den mentoren (oder ohne) planen, sondern eben die ganze sequenz.
meiner meinung wird das ganze dann nur verlagert.

und bedeutet mehr stress und mehr druck!

Nachteule
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Beitrag von Nachteule »

Mein Deutschfachleiter hat uns damals (ist schon etwas länger her) ein Angebot gemacht: "Ich komme auch, wenn Sie mögen, uneingeladen in den Unterricht. Dann erwarte ich natürlich keinen schriftlichen Plan und auch keine Showeinlagen, sondern natürlichen, guten Unterricht mit Methodenwechsel und gutem Lehrerverhalten." Das durften wir mehrmals aber nicht immer nutzen. Gut, davor habe ich gekniffen. Heute frage ich mich, warum? Damals hatten wir aber das Gefühl, dass das Angebot nur die "faulen" Reffis nutzen würden. (Mittlerweile sehe ich das deutlich anders und halte das eigentlich für eine gute Idee!)

Ulysses
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Beitrag von Ulysses »

bei uns war so etwas ganz normaler Alltag an der Seminarschule: wir mussten in jeder Stunde damit rechnen, dass der Betreuungslehrer, der Seminarlehrer oder sogar die Schulleiterin reinschneit und zuschaut.

anscheinend ist das aber nur in Bayern so, weil es nur hier Seminarschulen gibt (und nicht die sonst übliche Trennung von Ausbildungsschule und Seminar). es hat fürchterlich genervt, weil man da ja ständig unter Druck stand, aber so haben die Ausbilder eben auch in der Regel normale Stunden gesehen und nicht immer nur irgendeinen Showzirkus.
Bayern, Gymnasium, Latein/Geschichte.
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Serafina
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Beitrag von Serafina »

Illi-Noize hat geschrieben:Mal ein "wilder" Vorschlag:

Ich würde mal tippen, dass 90% der Referendare besser und realistischer bewertet werden würden, wenn es eine versteckte Kamera geben würde und der Alltag auch mit bewertet werden würde.

Da würden die ganzen "Pappnasen", die in den Besuchen einen Methodenzirkus veranstalten und sonst rein gar nichts zu bieten haben, "endlich" mal richtig bewertet werden, und Otto-Normal-Referendar, der konstant solide Stunden ohne übertriebene Showstunden hält, käme aus meiner Sicht zurecht besser weg.
Da gebe ich dir Recht. Im Ref werden leider Blender gefördert bzw. erst erzeugt, indem man alle paar Wochen einen Unterrichtsbesuch als eine Art Theaterinszenierung einberuft und ansonsten zwar zig Augen auf den Ref gerichtet sind (das ist ja die Belastung, von der im ersten Posting die Rede war), aber eben nicht in wirklichen Alltagssituationen. Doch nur die Alltagssituationen könnten zeigen, wie sehr jemand ackert, wie engagiert jemand auch in sozialen Fragen in Wahrheit ist.

Allerdings wäre das Mittel, das du vorschlägst, sehr fragwürdig. Wenn ich zu Ref-Zeiten mittels versteckter Kameras beobachtet worden wäre und das erfahren hätte, wäre ich - zu Recht - für immer aus dem Schulsystem verschwunden. Das haben sich Lidl und Telekom geleistet und ein angebrachtes großes Hallo erzeugt, als es aufflog.

Aber wie könnte man sonst den Alltag einfangen? Das Ziel ist ja völlig richtig.

Ulysses
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Beitrag von Ulysses »

Serafina hat geschrieben:Aber wie könnte man sonst den Alltag einfangen? Das Ziel ist ja völlig richtig.
ich glaube, in den Bundesländern, in denen Ausbildungsschule und Seminar getrennt sind, liegt das Problem einfach an der Entfernung von Schule und Seminar: die Leute am Seminar kriegen nicht mit, wie sich der Referendar im Alltag verhält, weil sie nicht am Ort sind.

bei uns ist man zwei Halbjahre lang an der Seminarschule (= das Seminar ist einer Schule angegliedert, die Ausbilder sind gleichzeitig ganz normale Lehrer an der Schule), und da kriegen die Seminarlehrer schon Einiges über den Alltag mit, aus dem sie mehr oder weniger sichere Schlüsse ziehen können.

ich habe z.B. im letzten Halbjahr zusammen mit dem Seminarlehrer eine 5. Klasse unterrichtet, wir haben uns einfach die Stunden geteilt und dann jeweils abgesprochen, was wir an Hausaufgaben gegeben haben, wie weit wir im Stoff gekommen sind usw.

er saß nicht in allen Stunden hinten drin, aber auch so hat er mitbekommen, wie es bei mir im Alltag gelaufen ist, immerhin konnte er es ja direkt an den Fortschritten der Schüler erkennen, ob ich denen was beibringen konnte oder nicht.

natürlich hat das auch seine Nachteile gehabt (die ständige Beobachtung war ja auch nicht ganz druckfrei), ist aber sicher besser, als irgendwo eine Kamera zu installieren. die fängt nämlich den Alltag auch nicht ein, ganz sicher nicht.

wenn Menschen wissen, dass Kameras auf sie gerichtet sind, verhalten sie sich auch nicht mehr normal, und welchen Aussagewert hat es, wenn man zwei Jahre unnormales Verhalten gefilmt hat? abgesehen davon, dass sowieso keiner die Zeit und die Nerven hat, die Filme dann wirklich auszuwerten.

mehr als eine nutzlose und eher schädliche Alibifunktion kann so eine Kamera nicht haben.
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Serafina
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Beitrag von Serafina »

Ulysses hat geschrieben:
auch ein Handwerker muss, um Meister zu werden (übrigens: Meister sind im Handwerk die, die die Lehrlinge ausbilden!), ein Meisterstück abliefern, an das wesentlich höhere Ansprüche gestellt werden als an Werkstücke im normalen Berufsalltag.

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Mein Bruder ist Meister in einem Handwerksbetrieb. Er hat damals 2 Monate und nicht 2 Jahre lang richtig Stress geschoben und sein komplettes privates Umfeld Nerven gekostet, und dann wars vorbei.
Er konnte kein Englisch. Gut, es war ätzend, dieses für ihn so blöde Fach noch einmal vorgesetzt zu bekommen, aber ansonsten fühlte er sich nicht rund um die Uhr unter Druck gesetzt.

Serafina
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Beitrag von Serafina »

Ulysses hat geschrieben:
Serafina hat geschrieben:Aber wie könnte man sonst den Alltag einfangen? Das Ziel ist ja völlig richtig.
ich glaube, in den Bundesländern, in denen Ausbildungsschule und Seminar getrennt sind, liegt das Problem einfach an der Entfernung von Schule und Seminar: die Leute am Seminar kriegen nicht mit, wie sich der Referendar im Alltag verhält, weil sie nicht am Ort sind.
Ja, das kann gut sein. Ausbildungsschule und Seminar berührten sich bei uns nur marginal. Das waren zwei Paar Schuhe. Vom Seminarleiter wusste jeder, dass er Showstunden liebte. Er bediente sich in dieser Angelegenheit eines Arguments, das hier auch schon genannt wurde: Sicherlich kann niemand im Berufsleben solche Sternstunden am Fließband produzieren, doch wer es erst gar nicht gelernt hat, wird es eben auch nach der Ausbildung nie lernen.
Darauf habe ich folgende Antwort: Lernen setzt, und darin sind sich meines Wissens nach alle Lernforscher einig, voraus, dass man Zeit hat, die Gegenstände zu verarbeiten. Wenn heute so viele hibbelige Kinder heraumlaufen, dann doch wahrscheinlich deshalb, weil sie von morgens bis in die späten Nachmittagsstunden hinein am laufenden Band zugeknallt werden. Dasselbe gilt für Referendare. Wenn ich bis zum Rand tagtäglich mit neuen Informationen angefüllt werde und kognitiv weder richtig ablegen geschweige denn verarbeiten kann, was mir da zugetragen wird, dann entlädt sich das Ganze nicht in gradiosen Sternstunden mit Prädikat.
Ich kenne das aus dem Ref so: Die Leute steckten kaum Energie in ihren eigenverantwortlichen Unterricht und alle Energie in einen adretten Gesichtsausdruck in der Gegenwart von Seminarleitern und sonstigen Ausbildern. Für die wurde alles zugeschnitten, um dann wie erwartet funktionieren zu können. Der Alltag war nur dann wichtig, wenn in den eigenen Ausbildungsklassen Unterrichtsbesuche geplant waren.
Das war ökonomisch und von mir durchaus nachvollziehbar. Ich kann Leute, die sich ihre Gesundheit erhalten wollen, nun mal verstehen. Es stank aber zum Himmel, dass sie sich dieser Strategie überhaupt bedienen mussten, um einigermaßen gut durchkommen zu können.

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