Traumatisierte Klassen

Konstruktive Kritik - das Referendariat muss reformiert werden! Eure Vorschläge...
Titania
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Traumatisierte Klassen

Beitrag von Titania »

Mich würde mal interessieren, ob ihr wüsstet, was man im Falle eines Unglücksfalles (Tod eines Kindes der Klasse, Tod von von Elternteilen der Klasse, etc) tun müsstet/würdet. Werdet ihr auf solche Situationen während eurer Ausbildung vorbereitet oder würdet ihr voll ins kalte Wasser geschmissen? Fändet ihr es sinnvoll einen solchen vorbereitenten Aspekt in die Ausbildung mit aufzunehmen?
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Malina
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Beitrag von Malina »

Also ich kann mich nur an meine eigene Kindheit erinnern.

Da hat sich der Vater einer Mitschülerin erhängt.

Und an mehr kann ich mich da gar nicht erinnern, als dass das passiert ist.

War in der 2. oder 3. Klasse. Und ich glaube, dass das im Prinzip kein Kind aus der Klasse irgendwie wirklcih verstanden hat. Und thematisiert haben wollte das garantiert keiner.

Aber gut, die Zeiten haben sich auch geändert.

penguin
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Beitrag von penguin »

Ja, zum Glück haben sie sich geändert.

Ich glaube nicht, dass man so etwas vorbereiten kann. Die Realität ist einfach anders. Wir haben zwar einmal im Hauptseminar so eine Art "Was wäre wenn,..."-Rollenspiel gemacht, in dessen Verlauf wir für alle nur erdenklichen außergewöhnlichen Unterrichtssituationen Handlungsmöglichkeiten "planen" und dann diskutieren mussten (da war auch ein Trauerfall in der Klasse dabei).

Sollte es aber dennoch geschehen (die ehemalige, sehr geliebte Klassenlehrerin einer Klasse 10, in der ich vor zwei Jahren unterrichtete, starb ganz unerwartet an Krebs, nachdem sie sich eigentlich auf dem Weg der Besserung befand und ihre ehemaligen Schüler noch zwei Wochen zuvor besucht hatte), hilft - glaube ich - nur eins:

Zuhören. Herzenswärme. Zeit nehmen. Nichts aufzwängen, aber auch nichts zu Tode schweigen. Gespräche anbieten. Falls notwendig, den Unterricht vergessen. Die Menschen gehen vor.

Malina
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Beitrag von Malina »

Ja, das klingt gut.

Titania
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Beitrag von Titania »

penguin hat geschrieben:Ja, zum Glück haben sie sich geändert.

Ich glaube nicht, dass man so etwas vorbereiten kann. Die Realität ist einfach anders. Wir haben zwar einmal im Hauptseminar so eine Art "Was wäre wenn,..."-Rollenspiel gemacht, in dessen Verlauf wir für alle nur erdenklichen außergewöhnlichen Unterrichtssituationen Handlungsmöglichkeiten "planen" und dann diskutieren mussten (da war auch ein Trauerfall in der Klasse dabei).

Zuhören. Herzenswärme. Zeit nehmen. Nichts aufzwängen, aber auch nichts zu Tode schweigen. Gespräche anbieten. Falls notwendig, den Unterricht vergessen. Die Menschen gehen vor.
Genau das meine ich, durchspielen kann man diese Situation nicht, aber braucht man nicht ein paar Tipps an die Hand, wie man mit Kinden darüber sprechen sollte. Was muss man als Lehrer/in im Vorfeld eines solchen Gespräches bereits in Erfahrung gebracht haben? An wen kann ich mich wenden, wenn ich mich selbst überfordert fühle?
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Ulysses
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Beitrag von Ulysses »

ich denke, es hängt auch sehr von der Persönlichkeit der Lehrkraft ab, wie damit umgegangen werden muss.

es gibt Lehrer, die können einfühlsam auf die Schüler reagieren, ihre Bedürfnisse erfühlen und ihnen Trost spenden, ihnen zeigen, dass sie ihren Schmerz und Kummer ernst nehmen. dadurch können sie den Unglücksfall auch eher angemessen im Unterricht thematisieren und den Schülern den Umgang damit erleichtern.

andere Lehrer können das vielleicht weniger, fühlen sich eher überfordert, und die sollten dann nicht versuchen, krampfhaft irgendeinen Umgang mit der Sache zu versuchen und es mehr schlecht als recht zu thematisieren. das würde die Schüler wohl eher irritieren, da sie ohnehin Schwierigkeiten haben, mit der Situation umzugehen, und nun noch den unangemessenen Umgang damit verarbeiten müssen.

und es würde nur noch mehr Wunden aufreißen und ist sicher schlechter, als gar nichts zu tun und den Unterricht wie gehabt durchzuziehen, um ein wenig Normalität aufrechtzuerhalten oder wenigstens zu suggerieren.

wie man hier vorgeht, hängt stark von der eigenen Persönlichkeit und der eigenen Lebenserfahrung ab, jeder muss versuchen, selber zu entscheiden, wie er oder sie damit umgehen will, weil es sicher kein Patentrezept gibt. entscheidend ist ja auch, was die Schüler selber wünschen. zwanghafte Thematisierung bringt eben nichts, wenn die Schüler die vorgegaukelte Normalität des normalen Unterrichtsablaufes lieber wollen.

ich hatte vor einer Weile den Fall, dass ein Schüler am Anfang der Stunde mit einem Mitschüler zu mir kam, er war sichtlich niedergeschlagen und sagte kein Wort. der Mitschüler bat mich, ihn nicht auszufragen, da sein bester Freund sich umgebracht hätte.

mir ist spontan ein "oh Sch****" rausgerutscht, was sicherlich nicht die lehrbuchmäßig optimalste Reaktion war und was ich auch keinem empfehlen würde, in der Situation zu sagen. aber offenbar haben die beiden gemerkt, dass es spontan war, weil mich das selber geschockt hat, und daher war es hier zufällig die wesentlich bessere Reaktion als irgendein psychologisch antrainiertes und auswendig gelerntes Blabla.

aber wie gesagt, das ist abhängig von der Situation und den Persönlichkeiten der jeweiligen Lehrer und Schüler.

zur eigentlichen Frage: sinnvoll würde ich es auf jeden Fall finden, das in der Ausbildung anzusprechen. ich sehe halt nur das Problem, dass die Zeit nicht ausreichen würde, die Referendare angemessen zu schulen, und dann kommt vielleicht bei vielen doch nur ein auswendig gelerntes Blabla rüber: man hat gelernt, dass man so und so reagieren soll, also reagiert man so und so. und das ist halt u.U. grottenfalsch.

und an wen soll man sich wenden, wenn man sich überfordert fühlt? ich denke, hier sind auf jeden Fall Schulpsychologen (falls kurzfristig greifbar) und erfahrene ältere Kollegen die besten Ansprechpartner. evtl. auch besonders Kollegen, die die Klasse schon eine Weile kennen und daher auch eher einschätzen können, welches Verhalten auf die betreffenden Schüler am ehesten positiv wirken könnte. auch Schülerpersönlichkeiten sind ja doch arg verschieden.
Bayern, Gymnasium, Latein/Geschichte.
LAss seit Februar 2008 -- Planstelle an einem überaus elitären :mrgreen: städtischen Gymnasium
[i]... causas viresque perquirere rerum ...[/i]

penguin
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Beitrag von penguin »

Ich kann das, was Ulysses geschrieben hat nur in vollem Umfang unterstreichen.

Es wird manchmal in der Lehrerausbildung von Authentizität gesprochen - man solle man selbst bleiben anstatt sich zu verbiegen (gar nicht so einfach). Ich halte das für unendlich wichtig, im normalen Unterricht ohnehin, noch mehr aber in solchen Krisensituationen.

Es ist einfach auch so, dass einen solche Nachrichten im hektischen Schulalltag oft im ungünstigsten Moment erreichen - wenn das überhaupt vorher geschieht. Da leibt oft für Besinnung oder ein Einholen von Informationen gar keine Zeit, ehe es wieder gongt und die Begegnung mit der Schülerin ansteht, die gerade einen Trauerfall in der Familie hatte.

Und wie gesagt, man muss auch gar nicht alles zwanghaft thematisieren. In der Regel merkt man, wenn eine Klasse oder eine einzelne Schülerin unausgeglichen und ruhelos sind. Da kann man den Unterricht auch unterbrechen und vorsichtig nachfragen. Ebenso mache ich das, wenn ich Tränen tropfen sehe - meist aber leise und privat, stelle dann dem Rest der Klasse eine Aufgabe und gehe hin, frage nach.

Schwierig finde ich in wirklichen Krisensituationen (Selbstverletzung, Missbrauch, Selbstmordgefahr...), was ich bis jetzt leider zweimal erlebt habe, diese vielleicht kaum mögliche Balance zwischen dem, was einem Schüler (oder ihre Freunde) aus Angst, emotionaler Belastung und Sorge erzählen, oft unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Wenn körperliches und seelisches Wohl und evtl. sogar das Leben aber in Gefahr sind, muss Hilfe von professioneller Seite geholt werden, auch wenn dies bedeutet, dass Versprechen vielleicht gebrochen werden müssen. Dennoch tut das weh.

Worauf ich hinaus will: Wie in vielen Berufen, die mit Menschen in all ihren Lebenslagen und Nöten zu tun haben, leiden auch viele Lehrer menschlich mit. Und dies den Schülern deutlich zu machen bedarf oft gar nicht vieler Worte. Ein bisschen Verständnis, ein lieber Blick, ein simples "Das tut mir leid", "Geht es dir einigermaßen gut?", "Brauchst du etwas Zeit für dich?", das Angebot zu einem Gespräch und das Ich-Sein, das auch Betroffenheit und emotionale Überforderung zulässt, das einen vielleicht dazu bringt ungelenk zu formulieren oder "Sch..." zu sagen, weil einem vor Schreck einfach nichts anderes einfällt, all das gehört dazu.

Übrigens - manchmal ist es auch so, dass sich Schüler, denen etwas Schlimmes geschehen ist, nach Schulnormalität sehnen und einfach nur in Ruhe im Unterricht mitarbeiten wollen. Das gibt ihnen vielleicht die Möglichkeit, sich für eine gewisse Zeit mal nicht mit dem Schrecklichen in ihrem Leben auseinandersetzen zu müssen. Das sollte man dann auch respektieren.

Schon wieder so ein langer Beitrag. Oje, das ist aber auch ein schweres Thema.

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