Alternative?

Konstruktive Kritik - das Referendariat muss reformiert werden! Eure Vorschläge...
corazon
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Beitrag von corazon »

@ulysses:
Das ist schon richtig, dass man durch die intensive Beschäftigung mit "Nischenthemen", die auf den ersten Blick unbrauchbar erscheinen, ein gewisses Methodenrepertoire erwirbt.
Doch wenn ich jetzt mal meine aktuelle Situation betrachte, dann habe ich wohl die falschen Methoden erlernt, und es fehlen mir in vielen Situationen einfach die "Basics".

Was nutzt es mir nun, dass ich wissenschaftliches Arbeiten eingeübt habe?
Nun muss ich zB Schülern Grammatik erklären und Rechtschreibung beibringen - Grammatik wurde in Vorlesungen irgendwie durchgehechelt, viel intensiver beschäftigte man sich dann in den Deutsch-Seminaren referatslastig mit Morphen und Morphemen, in der englischen Originalfassung natürlich, wir sind ja Akademiker!
Was nützt es mir, dass ich zu dem Thema X sauschlecht vorgetragene Referate gesehen habe von angehenden Lehrern, die für ihre tolle Recherchearbeit gelobt wurden, deren miese, unprofessionelle und anstrengende Art vorzutragen aber völlig unerwähnt blieb??
Nun muss ich den Schülern "Präsentieren" beibringen, und lese mir das alles mühsam selber zusammen, weil das an der Uni nie Thema war - rückblicken betrachtet höchstens unter dem Aspekt "Niemand ist nutzlos, er kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen".

Ich habe zwar Geschäftsprozess-Reengineering mit SAP-Unterstützung gelernt, nun muss ich Hauptschulabgängern aber irgendwie didaktisch wertvoll die Grundzüge des Wirtschaftens erklären und greife letztlich doch auf Schulbücher zurück, da mir im Alltag absolut das Handwerkszeug fehlt.

@Herbie:
kein Deiner Argumentation leider nichts abgewinnen bezüglich dem was Du zum Berufsabschluss schreibst. Gebe es jetzt einen Lehrerüberhang, und etliche breit-wissenschaftlich ausgebildete LA-Absolventen würden auf den Arbeitsmarkt drängen, dann würde sich das Problem doch letztlich nur verlagern, Dann wären diese Leute eben keine arbeitslosen Lehrer, sondern arbeitsloser Magister oder was weiss ich was.

Vielleicht wäre es eine Maßnahme, zukünftig nur noch Leute zum LA-Studium zuzulassen, die bereits über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein abgeschlossenes Studium verfügen, um diese Problematik zu umgehen? So wird es in anderen Beamten-Berufen ja auch bereits gehandhabt, damit diese Leute im Notfall eine Alternative haben.

Rittersport
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Beitrag von Rittersport »

Michaela hat geschrieben: ... Verstehst Du unter Seminarlehrkräften Fachleiter? Ich weiß nicht, inwiefern 2 komplette Praxissemester unter Vollzeit- Seminarbetreuung finanziell überhaupt machbar und damit diskutabel sind, aber mehr Praxis muss sein. Auch schon aus dem Grund, dass viele Refs erst im Ref feststellen, dass der Beruf nichts für sie ist.
Ich für meinen Teil weiß nicht, was ein Fachleiter ist. Bei uns sind Seminarlehrer Menschen, die weniger Stunden unterrichten (bzw. mehr Geld verdienen) und im Gegenzug Refs ausbilden.
Das Praxissemester wäre für die Seminare kein Unterschied zu jetzt, nur dass die Leute eben noch kein 1. Stex haben.
Ulysses hat geschrieben: schon jetzt stöhnen Schüler und Eltern machen sich Sorgen um die Bildung ihrer Kinder, wenn noch nicht fertige Referendare in einer Klasse unterrichten. der Tatsache, dass die Kinder von noch nicht fertig ausgebildeten Studenten unterrichtet werden, werden sie vermutlich mit noch größerer Skepsis und Besorgnis begegnen.
An eigentlich jeder Schule gibt es auch Praktikanten, die unter Anleitung erste Gehversuche machen. In "meinem" Modell wäre ja grundsätzlich ein Seminarlehrer mit dabei. Eigenverantwortlicher Unterricht würde erst im 1-jährigen Ref stattfinden.
Ulysses hat geschrieben: was für Leute das waren, möchte ich wirklich wissen. wie wollen die denn unterrichten, wenn sie kein Fachwissen haben? oder anders rum: wenn ihnen das Fachwissen von der Uni nichts bringt, sollte man dann nicht das Unistudium gleich ganz abschaffen und stattdessen nach dem Abitur eine dreijährige Lehre zum Lehrer einführen?
Das waren gestandene Lehrkräfte. Die hatten sich ihr Wissen selbst angeeignet, weil sie Interesse an ihrem Fach hatten und haben.
Der Vorteil der von dir skizzierten "Lehre" wäre mit Sicherheit, dass man an der Besoldung schrauben könnte, also A9 statt A13. Ferner kämen weniger Leute mit Elfenbeinflausen im Kopf an die Schulen, die meinen, im Unterricht ausschließlich dozieren zu können. Das habe ich selbst leider zu oft erlebt.

karink532

Beitrag von karink532 »

Naja, aber ein solides Fachwissen muss schon die Grundlage sein... Es ist zwar nachgewiesen, dass man mit der gewissen einen Lektion Vorsprung auch halbwegs guten Unterricht machen kann, aber genauso ist nachgewiesen, dass jemand, der sich in seinem Fach WIRKLICH auskennt und ein Mehr an Wissen besitzt, besser agieren kann als jemand, der die ganze Stunde zittert, dass die Schüler irgendwas fragen, was man dann selbst nicht weiß.

Ich habe ein halbes Jahr fachfremd Erdkunde unterrichtet und toll fand ich das nicht gerade. Meistens wusste ich auch nicht mehr als das, was auf der entsprechenden Buchseite stand, es fiel mir schwer, andere Materialien auszuwerten, weil ich sie mangels Fachwissen nicht einschätzen konnte und es kam mehrmals vor, dass Schüler was gefragt haben, was ich ihnen leider nicht beantworten konnte.

Wenn das Fachwissen wirklich keine Rolle spielt, wieso dann überhaupt ein Studium?

SL

Re: Alternative?

Beitrag von SL »

Hallo Rittersport.
Danke, dass du mich auf diesen Thread aufmerksam gemacht hast und ich trage natürlich gerne meine Gedanken dazu bei.

Vorausschicken möchte ich, dass ich für die Ausbildung an Gymnasien in Bayern schreibe und mich auf die derzeitige Situation in diesem Bereich beziehe. Übertragungen auf andere Bundesländer und/oder andere Schularten sind aufgrund mehr oder weniger großer Unterschiede nur bedingt möglich. (Infos zum System in Bayern gibt es hier: http://www.km.bayern.de/km/lehrerbildun ... ngsdienst/ )

Desweiteren schreibe ich aus meiner Sicht, also aus der Sicht eines Seminarlehrers (Fachleiters) und ich hoffe, es ist kein Problem, dass die in manchen Punkten von der Sichtweise eine Referendars abweicht. Aber dafür diskutiert man ja... :D
Rittersport hat geschrieben:- Höherer Anteil (auch im Hinblick auf die Examensnote) von Pädagogik, Psycho und Didaktik an der Uni
Darf ich lapidar fragen: Wozu? Pädagogische Ausbildung an der Uni ist eine theoretische Ausbildung. Die Praktische Ausbildung erfolgt im Referendariat. Ich bin nicht der Meinung, dass die theoretischen Grundlagen in diesem Bereich mangelhaft sind.

Desweiteren würde eine Ausweitung dieser Bereiche die hier bereits diskutierte Kürzung des Fachwissenschaftlichen zur Folge haben müssen.
In diesem Punkt schließe ich mich den Ausführungen von Ulysses voll und ganz an. Ich habe es noch keinen Tag bereut, zwei Fächer vertieft studiert zu haben und in beiden voll promotionsfähig zu sein. Mir war es auch immer wichtig, über den Tellerrand hinauszusehen und Kontakt zur Wissenschaft zu halten. Dazu benötigt man aber gewisse Vorkenntnisse.

Und letztendlich ist auch ein finanzieller Apekt nicht zu übersehen. Die volle Einstufung in den höheren Dienst ist nur bei entsprechendem Studium möglich. Du hast da mit deiner Idee "A9 statt A13" im Ansatz schon recht.
Also da wäre ich sehr vorsichtig...
- 2 Praxissemester: Diese finden an den Seminaren statt, die Studis unterrichten unter Anleitung von Seminarlehrkräften
Du wirst lachen, aber sowas ähnlichen haben wir schon. :D
Im Ernst, ich bin ab Oktober an der Uni und unterrichte dort die Studis. "Demonstrationspraktikum" nennt sich das, und das ist nichts neues. Gabs zu meiner Zeit auch schon.
Gut, ist nur einmal in der Woche, aber zusammen mit den anderen Praktika (und da hat sich in den letzten Jahren einiges getan) würde ich mal sagen, das ist schon ausreichend.

Ich seh keinen rechten Sinn, einen Teil des Referendariats ins Studium vorzuverlegen. Und das ist ja im Prinzip dein Vorschlag.
- 1 Jahr Referendariat: Unterricht von Anfang an in eigenen Klassen, Betreuung durch erfahrene Lehrkräfte


Ganz klar: Nein.
Bevor jemand etwas macht, muss er es lernen. Das ist das Natürlichste der Welt. Warum soll das für so einen schwierigen Beruf wie unseren nicht auch gelten?
Kommt jemand auf die Idee, einen Medizinstudenten nach dem 1. Staatsexamen gleich in den OP zu stellen und operieren zu lassen? Na also.

Und ich finde die Betreuung durch Seminarlehrer (Fachleiter), die später auch beurteilen wesentlich sinnvoller und gerechter.
- Theorie in Blockveranstaltungen am Seminar, Prüfungen ebenfalls dort
Scheint mir, du willst auf eine Trennung zwischen Seminar und Ausbildungsschule hinaus, wie sie in anderen Bundesländern praktiziert wird.
Interessanterweise wird das System von etlichen Kollegen dort sehr kritisch gesehen. So hat etwa Freidenker dazu bereits interessante Beiträge in einem anderen Thread geschrieben.

Ich halte von dieser Trennung nichts. Ich bin froh, dass ich als beurteilender Seminarlehrer die Referendare und ihren Unterrichts sehr gut kenne, wenn ich sie beurteile.

Sicher, der Nachteil unseres Systems ist, dass das Ganze sehr von der Person des Seminarlehrers abhängt. Wenn er gut ist, ist die Ausbildung gut, wenn er schlecht ist, wirds problematisch.
Jedoch ist immer eine klare Linie da, und man steht als Referendar nicht so zwischen den Stühlen, weil man weiß, dass man (pro Unterrichtsfach) nur einen hat, der beurteilt.
- keine Hausarbeit mehr
Hierzu möchte ich mich auch gern den Ausführungen von Ulysses anschließen.
Halte die Hausarbeit nicht für sinnlos, aber mein Herz hängt nun auch nicht dran. (Die Abschaffung würde mir immerhin Korrekturarbeit ersparen ;-) )
- Lehrproben werden durch Beurteilungen von Schulleiter und Betreuungslehrkräften ersetzt, da Einzelstunden keine klare Erkenntnis darüber vermitteln können, ob jemand für den Job geeignet ist.
Nein, bin ich nicht dafür.
Ich weiß, dass kein Referendar die Lehrproben mag. Aber ich halte sie für sinnvoll. Dazu kurz als Hintergrundinformation die derzeitige Situation in BY (Gym):
3 Lehrproben, eine im ersten halben Jahr, eine im zweiten oder dritten halben Jahr und eine im vierten halben Jahr.
Die 3 Lehrproben zählen zum 2. Staatsexamen 4/13, also jede Lehrprobe 4/39, also etwa 10%.

Es ist also nicht so, dass wenn man eine Lehrprobe vergeigt, dass dann "alles zu Ende" ist, wie gelegentlich behauptet wird.

Desweiteren ist es aus meiner Sicht auch durchaus so, dass in einer Lehrprobe Dinge beurteilt werden, die für den Schulalltag relevant sind.
Ein wichtiges Kriterium ist z.B. das Erreichen des Lernziels. Das ist doch in jeder anderen Stunde auch relevant.

Lehrprobenstunden sind Musterstunden, das ist klar. Aber muss man nicht zur Meisterprüfung auch ein Meisterstück anfertigen?

Für mich nicht nachvollziehbar ist die Aussage, dass die Lehrprobe "keine Realität" zeige, sondern ein "sinnloses Theater" sei, was Ulysses offenbar sogar von Seminarlehrerseite gesagt wurde.
Ich habe so eine Aussage auch noch nie von einem Kollegen gehört.
Ulysses, ich will dir nicht zu nahe treten, aber vielleicht handelt es sich um ein Missverständnis. Seminarlehrer sagen gern, dass eine Lehrprobe keine normale Unterrichtsstunde sei. Und das stimmt. Sie ist eine besondere Stunde. Das heißt, dass man in einer Lehrprobe mehr sehen will, als in einer normalen Unterrichtsstunde. Der Lehrer soll zeigen, was er kann. Alle Register an Pädagogik und Didaktik ziehen, was man ja sonst nicht immer macht. Aber nichts Sinnloses.

Nun zum Vorschlag, die Lehrproben durch Beurteilungen zu ersetzen:
Also erstens gibt es ja bereits eine ausführliche Beurteilung der Referendare (die übrigens mit 5/13 stärker gewichtet wird als die Lehrproben!) und zweitens sind Beurteilungen weit weniger objektiv als Lehrproben.
Bei einer Lehrprobe wird mitprotokolliert, da habe ich drei Prüfer hinten drin sitzen, die gemeinsam benoten. Da habe ich einen Kriterienkatalog, nachdem ich sagen kann, wie die Stunde war.

Eine Beurteilung ist immer ein bisschen wischi waschi. Viel bla bla...

Also ihr wollt doch eine möglichst objektive, transparente Notenfindung. Dann gehört die Lehrprobe dazu.

So, und jetzt, bevor ihr auf mich einschlagt: Ich will nochmal betonen, dass ich mich auf das derzeit in Bayern am Gymnasium praktizierte System beziehe und, dass ich nicht abstreiten will, dass auch unser System Schwachpunkte hat. So habe ich z.B. das Problem mit schwachen Seminarlehrern bereits beschrieben.

Nichtsdestoweniger will ich klar sagen, dass ich mit unserem System recht zufrieden bin.

So, und nun lyncht mich... :)

Giftzwerg
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Beitrag von Giftzwerg »

Über das Ref kann ich noch nichts sagen. Aber zu dem Thema mehr Praxis im Studium:
An der Uni Sortmund wurde das so genannte Theorie-Praxis Modul eingeführt. Wir mussten ein fachdidaktisches Seminar (für mich Englisch) und ein erziehungswissenschaftliches Seminar belegen. Die Inhalte waren aufeinander abgestimmt. In den Semesterferien mussten wir ein vierwöchiges Praktikum durchführen. Bereits vor dem Praktikum, während des Praktikums und nach dem Praktikum hatten wir ein Begleit-/Forschungsseminar. Wir reflektierten U-Methoden, U-Störungen, unsere Erfahrungen etc. Außerdem lernten wir wie man Unterricht evaluieren oder andere Forschungen durchführt. An unserer Praktikumsschule mussten wir dann auch eine Forschung durchführen. Außerdem mussten wir eine U-Reihe planen und durchführen.
Im nächsten Semester mussten wir dann ein fachdidaktisches Seminar im 2. Fach (für mich Theologie) belegen. Anschließend wieder 4 Wochen Praktikum inklusive U-Reihe.
Das Modul wurde abgerundet von einem außerschulischen Praktikum (2 Wochen), um SuS außerhalb der Schule zu erleben.
Das ganze bedeutete wirklich sehr viel Arbeit, vor allem die Forschung. Aber ich habe sehr viel gelernt und ich erachte das Modul als sinnvoll. Das erste Mal in meinem Studium wurden Theorie und Praxis verzahnt. An der Schule habe ich mich sehr wohlgefühlt und würde dort auch gerne mein Ref machen. =)
Also, Unis sind dabei etwas zu ändern. Aber es dauert...
Es ist nicht schlimm, wenn man mal hinfällt. Schade ist es, wenn man liegen bleibt.
Klassenleitung einer 6. und einer 7. Klasse.

Ulysses
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Re: Alternative?

Beitrag von Ulysses »

Hi Leute,

nachdem ihr den Uralt-Thread wieder ausgegraben habt, muss ich jetzt auch wieder mal was dazu sagen:
SL hat geschrieben:Desweiteren schreibe ich aus meiner Sicht, also aus der Sicht eines Seminarlehrers (Fachleiters) und ich hoffe, es ist kein Problem, dass die in manchen Punkten von der Sichtweise eine Referendars abweicht. Aber dafür diskutiert man ja... :D
kein Problem aus meiner Sicht, dafür treffen wir uns ja im Forum, dass wir unterschiedliche Sichtweisen und Ansichten austauschen. wem es nicht passt, dass hier einer kontroverse Meinungen ausspricht, der kann sich ja auch in den Keller setzen und mit der Wand diskutieren ... :wink:
SL hat geschrieben:In diesem Punkt schließe ich mich den Ausführungen von Ulysses voll und ganz an. Ich habe es noch keinen Tag bereut, zwei Fächer vertieft studiert zu haben und in beiden voll promotionsfähig zu sein. Mir war es auch immer wichtig, über den Tellerrand hinauszusehen und Kontakt zur Wissenschaft zu halten. Dazu benötigt man aber gewisse Vorkenntnisse.
freut mich natürlich erstmal, dass meine Ausführungen auf Zustimmung stoßen :mrgreen:

ansonsten fällt mir auf, dass ich gerade das Argument mit dem Kontakt zur Wissenschaft bisher völlig übersehen habe: ich hatte immer argumentiert, dass fundiertes, deutlich über das Lehrplanwissen hinausgehendes Fachwissen dazu führt, dass man insgesamt das Fach souveräner darstellen kann, weil man die einzelnen Lehr-Inhalte besser in den Gesamtzusammenhang einordnen kann, wodurch man auch mehr Sicherheit in der Stoffvermittlung hat. Näheres siehe oben.

das Argument mit dem Kontakt zur Wissenschaft ist natürlich mindestens genauso durchschlagend, schließlich hört man ja immer wieder die ganz und gar berechtigte Forderung, dass die Lehrer möglichst aktuelles Wissen vermitteln sollen. dazu müssen sie sich über den aktuellen Forschungsstand auf dem Laufenden halten, was nur dann geht, wenn sie wirklich vertraut mit der wissenschaftlichen Arbeit sind und sich in das Arbeiten und Denken eines Wissenschaftlers einfühlen und den Wert der Forschungsergebnisse einschätzen können.

und das können sie nur, wenn sie selber mindestens ansatzweise gelernt haben, wie Forschung funktioniert. damit vermittelt auch das Beschäftigen mit irgendwelchen Nischenthemen in Hauptseminaren oder während der Examensarbeit essentiell wichtige Fertigkeiten für das spätere Berufsleben, auch wenn die Inhalte niemals in der Schule zur Sprache kommen.

damit will ich nicht behaupten, dass ein Lehrer am Feierabend die aktuellste Fachliteratur durchackern muss, aber er sollte zumindest soviel Ahnung von Wissenschaft haben, dass er z.b. in der Tagespresse oder in populärwissenschaftlichen Magazinen veröffentlichte Neuerungen auch hinsichtlich ihres wissenschaftlichen Wertes einschätzen und beurteilen kann, ob und wie er sie für seinen Unterricht verwenden kann.

und auch das kann er eben nur dann wirklich, wenn er sich einigermaßen vorstellen kann, wie Wissenschaftler arbeiten und welche Bedeutung die jeweilige Erkenntnis für das Fach im Ganzen hat.

auch aus dem Grund befürworte ich die strikte Trennung zwischen Studium und Referendariat: ersteres ist für das inhaltliche und methodische Fachwissen, letzteres ist für die Unterrichtspraxis. gegen die normalen Praktika im Studium ist natürlich nichts einzuwenden, aber ich denke, es reicht, wenn man da nur reinschnuppert und merkt, ob einem der Job liegt oder nicht.

das Fachwissen sollte nicht durch noch mehr Pädagogik- und Didaktikkram verwässert werden, denn was man im Studium nicht an Pädagogik und Didaktik lernt, das kann man im Referendariat nachholen und im Beruf durch die Praxis lernen. was man nicht an Fachwissen hat, das lernt man im Ref ganz sicher nicht mehr. behaupte ich einfach mal, der ich durch meine Promotion nicht wenig Fachwissen angesammelt habe und nach 1,5 Jahren Ref schon merke, wie sich allmählich alles verflüchtigt ... :? ... hab während der Diss Seneca und Vergil zum Frühstück gelesen (sonst hatte ich keine Zeit dazu), und heute versteh ich schon fast keinen billigen Cicero mehr ... :(
SL hat geschrieben:
- 1 Jahr Referendariat: Unterricht von Anfang an in eigenen Klassen, Betreuung durch erfahrene Lehrkräfte


Ganz klar: Nein.
Bevor jemand etwas macht, muss er es lernen. Das ist das Natürlichste der Welt. Warum soll das für so einen schwierigen Beruf wie unseren nicht auch gelten?
Kommt jemand auf die Idee, einen Medizinstudenten nach dem 1. Staatsexamen gleich in den OP zu stellen und operieren zu lassen? Na also.
das überzeugt auch, ist aber nur dann ein sinnvolles Argument, wenn wirklich das Studium primär dem Fachwissen dient. ansonsten, wenn jemand schon vorher unterrichtet hat, warum soll er es dann im Referendariat nochmal exzessiv üben?

ein Lehramts-Studium, das schon stark gespickt ist mit Praktika, etwa Praxissemestern, wäre ja mit einem Medizin-Studium vergleichbar, in dem die Studis schon früh zu operieren anfangen. da können sie es dann natürlich nach dem 1. Staatsexamen schon besser als wenn sie es vorher noch nie getan hätten. es hat aber schon seinen guten Grund, dass ein Arzt erstmal theoretisch lernen muss, wie ein Körper funktioniert und welche Krankheiten es gibt und wie sie entstehen und behandelt werden.

letztendlich ist schon auffällig: wenn ein Arzt erstmal theoretisch die Biologie und Anatomie des Menschen und der Krankheitserreger lernen muss, bevor er an den Patienten darf, dann findet das jeder in Ordnung, weil offensichtlich ist, dass er sonst Schaden verursachen könnte. komisch, dass das bei Lehrern anders ist ... :roll:
SL hat geschrieben:Sicher, der Nachteil unseres Systems ist, dass das Ganze sehr von der Person des Seminarlehrers abhängt. Wenn er gut ist, ist die Ausbildung gut, wenn er schlecht ist, wirds problematisch.
das gleiche Problem hatten wir ja im Magisterstudium auch, da hing auch alles davon ab, ob wir mit den Profs konnten oder ob sie gut oder schlecht waren. allerdings konnte man als Student problemlos die Uni wechseln, wenn man mit den Profs nicht mehr ausgekommen ist. im Referendariat kann man nicht mal so eben nach einem Semester die Seminarschule wechseln.

trotzdem finde ich dieses sehr personalisierte System doch besser als die ganzen an angeblich objektiven Kriterien aufgehängten Gegenvorschläge, ich halte es nämlich nicht für realistisch, zu glauben, dass es irgendwo tatsächlich objektive und komplett entpersonalisierte Beurteilungen geben kann.

es sei denn, wir würden alle menschlichen Prüfer durch Roboter ersetzen, aber dann würde wieder das Kriterium der Subjektivität, das überall da herrscht, wo Menschen miteinander umgehen, bei der Prüfung fehlen. und wenn ein so zentrales Kriterium fehlt, kann die Prüfung nicht mehr objektiv sein. Objekte der Prüfung sind schließlich Menschen, und die sind sehr subjektiv (sorry für die verschwurbelte Ausdrucksweise, ist schon spät und ich bin müde und hab viel hinter mir ... langer Rede kurzer Sinn: wo Menschen handeln, gibt's nur Scheinobjektivität)


SL hat geschrieben:Lehrprobenstunden sind Musterstunden, das ist klar. Aber muss man nicht zur Meisterprüfung auch ein Meisterstück anfertigen?
das Argument ist -- trotz aller meiner Bedenken gegen die Lehrproben -- durchaus überzeugend. man soll wirklich einmal zeigen, was man kann.

in dem Sinne finde ich jetzt auch die üblichen Absprachen zwischen Lehrern und Schülern im Vorfeld der Lehrprobe gar nicht mehr so verwerflich und mache mir kein schlechtes Gewissen mehr, dass meine Kollegen vor der letzten Lehrprobe die Klasse noch mehr instruiert haben als ich: zum guten Unterricht gehört ein gutes Verhältnis und eine gute Zusammenarbeit mit Schülern und Kollegen ... das kann man hier wirklich meisterhaft demonstrieren 8)

wenn die Schüler mit dem Referendar an einem Strang ziehen und es auch als ihre Sache ansehen, dass er durch die Prüfung kommt, dann ist zumindest bewiesen, dass er in personal-menschlicher Hinsicht schon mal einen großen Erfolg in der Klasse verbuchen kann.

SL hat geschrieben:Also erstens gibt es ja bereits eine ausführliche Beurteilung der Referendare (die übrigens mit 5/13 stärker gewichtet wird als die Lehrproben!) und zweitens sind Beurteilungen weit weniger objektiv als Lehrproben.
Bei einer Lehrprobe wird mitprotokolliert, da habe ich drei Prüfer hinten drin sitzen, die gemeinsam benoten. Da habe ich einen Kriterienkatalog, nachdem ich sagen kann, wie die Stunde war.

Eine Beurteilung ist immer ein bisschen wischi waschi. Viel bla bla...
ok, was die Geschichte mit der Objektivität angeht, habe ich ja schon meine deutlichen Zweifel daran oben rausgelassen. ich denke aber, dass auch das Wischi-Waschi in dem Sinne objektiv ist, da der Mensch überall in seinem Leben von seinen Mitmenschen wischi-waschi bewertet und beurteilt wird ... wer füllt schon über seine Mitarbeiter, Kunden, Untergebenen oder sonstwen ständig mehrseitige Protokollbögen nach Kriterienkatalogen aus?

insofern ist die Bewertung trotz ihrer Wischi-Waschi-Subjektivität vielleicht doch realistischer und objektiver als all die Kriterienkataloge.

letztendlich sehe ich aber ein Problem auch darin, dass der Seminarlehrer nur die Stunden beurteilen und nur das Gesamtverhalten bewerten kann, das er gesehen hat. und das sind der erste und der letzte Ausbildungsabschnitt an der Seminarschule, nicht aber an der Einsatzschule.

und hier bin ich tatsächlich etwas skeptisch: an der Einsatzschule war ich frei und hatte keinen, der mir über die Schulter schaut. da konnte ich mich frei entfalten und zeigen, was ich kann. ich kenne mich da gut genug: wenn ich unter Aufsicht und Druck (auch wenn es kein realer, sondern nur ein subjektiv empfundener Druck ist) bin und einer zuschaut, bin ich nie so gut, wie wenn ich eine möglichst lange Leine habe und selbständiger agieren kann.

deshalb fürchte ich, dass mein Unterricht im nächsten Halbjahr nicht mehr so gut sein wird wie an der Einsatzschule oder wie im Leben nach dem Ref. das macht mir dann angesichts meines 3,5-Durchschnittes in den bisherigen Lehrproben schon Sorgen ... :roll:
SL hat geschrieben:Nichtsdestoweniger will ich klar sagen, dass ich mit unserem System recht zufrieden bin.
ok, die Antwort darauf gibt's nach dem Ref, wenn ich es in seiner Gesamtheit überblicken kann ... da wird sicher der eine oder andere Thread von mir kommen :roll:
Bayern, Gymnasium, Latein/Geschichte.
LAss seit Februar 2008 -- Planstelle an einem überaus elitären :mrgreen: städtischen Gymnasium
[i]... causas viresque perquirere rerum ...[/i]

SL

Re: Alternative?

Beitrag von SL »

Ulysses hat geschrieben:in dem Sinne finde ich jetzt auch die üblichen Absprachen zwischen Lehrern und Schülern im Vorfeld der Lehrprobe gar nicht mehr so verwerflich und mache mir kein schlechtes Gewissen mehr, dass meine Kollegen vor der letzten Lehrprobe die Klasse noch mehr instruiert haben als ich: zum guten Unterricht gehört ein gutes Verhältnis und eine gute Zusammenarbeit mit Schülern und Kollegen ... das kann man hier wirklich meisterhaft demonstrieren 8)
Also wenn die "Absprachen" darin bestehen, dass die Schüler besonders gut mitarbeiten, keiner Fremdbeschäftigung nachgehen, pünktlich und gut vorbereitet sein sollen usw. ist das doch voll ok.

Ich hab das sogar als SL schon gemacht, dass ich einer Klasse am Tag vor der Lehrprobe gesagt habe, dass sie gut mitarbeiten soll.

Anders schauts natürlich bei Absprachen wie "Wenn ich euch das und das frage, müsst ihr das und das antworten." aus. Das ist unzulässig, wie das Halten der gesamten Unterrichtsstunde im Vorfeld. (§ 21 Abs. 6 Satz 1 LPO II)

Auch rate ich davon ab, mit den Schülern Geheimtricks zu vereinbaren, wie etwa den "Meldetrick":

Bei jeder Frage melden sich alle Schüler, wobei die Schüler, die die Frage wirklich beantworten können sich mit der rechten Hand melden und die anderen mit der linken. Man hat dadurch immer eine gute Mitarbeit und natürlich nimmt man als Lehrer dann nur die dran, die sich mit der rechten Hand melden...

Man muss davon ausgehen, dass solche Tricks der Prüfungskommission auffallen und negativ angerechnet werden, weil sie nicht der realen Situation im Unterricht entsprechen.
(Deswegen will ich hier auch keine weiteren dieser Tricks verraten... :P )

Ok ist es wiederum, wenn der am Anfang der Stunde ausgefragte Schüler "zufälligerweise" ein sehr guter ist. Das sind legale Tricks. Glänzen kann man in eine LP jedoch besser, wenn man einen nicht so guten ausfragt. Einen guten Schüler ausfragen kann jeder, das ist nicht schwer. Aber in der LP gut darauf reagieren, wenn der Schüler einiges nicht weiß, das ist schon schwerer.

Aber ich weiche vom Thema ab und ich wollte euch ja keine Fachsitzung halten. :D

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