Wie kann man sich nach dem 1. Staatsexamen nennen?

Ulysses
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Beitrag von Ulysses »

mr_fresh hat geschrieben:Und zudem: Jeder Examinierte hatte mindestens doppelt so viele Prüfungen (und damit auch: Prüfungsthemen) zu absolvieren wie ein Magisterkandidat! Von daher bleibe ich dabei: beide Abschlüsse sind nicht äquivalent und auch in entscheidenden Punkten nicht gleichwertig. Nach meinem Dafürhalten haben Staatsexamenskandidaten mehr zu leisten als Magisterkandidaten.
das ist ein weit verbreiteter Irrtum, der daherkommt, dass man nur die Anzahl der Prüfungen quantitativ vergleicht. tatsächlich ist in der klassischen Magisterausbildung, die es ja leider nicht mehr gibt, am Ende weniger geprüft worden, ebenso, wie während des Studiums weniger Scheine zu erbringen und weniger Lehrveranstaltungen zu belegen waren.

das sieht für Außenstehende, die nicht beide Studien (Magister und Lehramt) gemacht haben, schnell zu der irrigen Ansicht, die Magister hätten es leichter und müssten weniger tun.

faktisch habe ich aber erlebt, dass das Magisterstudium ganz andere Anforderungen stellte, die nicht unbedingt nur im Absolvieren von Prüfungen, sondern eher in anderen, weniger quantitativ messbaren Bereichen lagen.

da das Studium von Anfang an daran orientiert war, Wissenschaftler auszubilden, waren die inhaltlichen Anforderungen bei uns höher, es wurde zwar nicht mehr Wissen, aber ein höheres Maß an wissenschaftlicher Reflexion verlangt.

teilweise wurden schon im Grundstudium Fähigkeiten und Fertigkeiten vorausgesetzt, die von Lehramtsstudenten erst in der Examensarbeit erwartet wurden. ungeeignete Studenten wurden von den Profs und anderen Dozenten weniger durch offizielle Prüfungen ausgesiebt als dass ihnen vielmehr inoffiziell klargemacht wurde, dass sie sich besser ein anderes Studium suchen, sei es durch offenes Gespräch, sei es in den Seminaren selber, wo sie im Vergleich mit den Mitstudenten früher oder später festgestellt haben, dass sie das falsche Fach studieren.

entsprechend habe ich im Magisterstudium viel mehr Abbrecher kennengelernt als im Lehramtsstudium, wo sich mancher noch mit der Vier-gewinnt-Methode durchgewurschtelt hat, der im Magisterstudium schon vor der Zwischenprüfung festgestellt hat, dass er seine Hausarbeiten nicht im erwarteten Niveau hinkriegt (und entsprechend ohne sie abzugeben aufgegeben hat).

auch der Zeitaufwand war jedenfalls so, wie ich studiert habe, im Magisterstudium keinesfalls geringer als im Lehramtsstudium, obwohl es nach der Zwischenprüfung für die Magister nicht unüblich war, Semester mit nur ein oder zwei Veranstaltungen in der Woche zu haben.

die Behauptung, dass Magisterkandidaten weniger zu leisten haben als Staatsexamenskandidaten ist nicht haltbar und kann nur aus Unkenntnis der Ziele des Magisterstudiums, die ganz andere sind als die des Lehramtsstudiums, aufgestellt werden.

allein aus dem quantitativen Vergleich lässt sich nicht folgern, dass die Prüfungsanforderungen für das eine Studium höher oder weniger hoch wären.
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chilipaprika
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Beitrag von chilipaprika »

Ich glaube, man könnte sich darauf einigen, dass es wie immer in der Bildunspolitik ist von der jeweiligen Hochschule abhängt.
Ich habe an einer Massenuni studiert und in den Seminaren haben die Profs nie gewusst, wer nach welchem Abschluss studiert oder nicht. In der Regel erst bei der Anmeldung zur Prüfung.
Die Zwischenprüfung war in meinen beiden Fächern identisch mit den Magister-Menschen.
Im Hauptstudium je 1 Schein weniger für die Staatsexamen-Studis (dafür Fachdidaktik, Sprecherziehung oder sowas) und die Magister konnten sich aussuchen, ob sie zum Beispiel 1 oder 2 Schwerpunkte hatten, ich musste 3 haben.
Hinzu kam die Pädagogik.

Ich würde nicht sagen "die haben es leichter", es ist anders. An meiner Hochschule (ich komme nicht aus dem Süden) waren die Themen vom Staatsexamen für viele Fächer (meine) zentral (im Voraus bekannt) vergeben, die Magistermenschen konnten sie absprechen. Es ist ein Vorteil für die Magister.
und die Notengewichtung bevorteilt die Magisterarbeit (1/3 der Note im Vergleich zu 1/8), was oft gut ausfällt. Ein Prof meinte zu mir, er hätte mir beim Schwanken eine schechtere mündliche Note gegeben, weil ich eine gute Note in der Arbeit hatte. Nett von ihm. Schade, dass bei mir die mündliche mehr zählte. Bei jedem anders halt..

mein Fazit:
Ja, das mit dem Wissenschaftlichen kann stimmen. Aber "Wir LehrämtlerInnen" schreiben trotzdem keine Arbeiten ohne Zitate, Bibliographie und unwissenschaftlich.
Es nervt echt, dass soviele "da draußen" glauben, wir hätten gerade eine halbe Zwischenprüfung eines Magisters..

chili

Ulysses
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Beitrag von Ulysses »

chilipaprika hat geschrieben:Es nervt echt, dass soviele "da draußen" glauben, wir hätten gerade eine halbe Zwischenprüfung eines Magisters.
leider stimmt es manchmal: das Latein-Staatsexamen verlangt in Bayern fachlich in etwa das, was ich im Magister für die Zwischenprüfung können musste.

womit ich aber nicht sagen will, dass das Staatsexamen nur die Zwischenprüfung des Magisters wäre, denn für einen Lehrer sind schließlich ganz andere Dinge wichtig, und deshalb werden im Staatsexamen auch ganz andere Dinge geprüft. ein Magister muss z.B. die Sprache nicht aktiv beherrschen, er muss nicht unbedingt bei einer Übersetzung ins Lateinische genau die Sprache Ciceros und Caesars treffen, was für einen Lateinlehrer wichtig ist, für einen Wissenschaftler, der über mittellateinische Literatur forscht, blanker Unsinn wäre.

usw. ... etc. ... pp. ...

deshalb ist es Unsinn, hier einfach quantitative Vergleiche anzustellen. die Anforderungen sind qualitativ anders.
chilipaprika hat geschrieben:Ja, das mit dem Wissenschaftlichen kann stimmen. Aber "Wir LehrämtlerInnen" schreiben trotzdem keine Arbeiten ohne Zitate, Bibliographie und unwissenschaftlich.
Wissenschaftlichkeit erschöpft sich nicht in Zitaten, Bibliographien usw., sondern zu wissenschaftlichem Denken und Forschen gehört eine Arbeitshaltung, die kreatives Suchen und Denken erfordert, Instinkt und Spürsinn für Neues, das man entdecken kann und muss, die Fähigkeit, gedankliche Verbindungen zwischen augenscheinlich weit auseinander liegenden Gebieten und Themenbereichen festzustellen und aufzuspüren.

das übt man nicht einfach dadurch, dass man ein oder zwei Hausarbeiten schreibt und dabei ein paar formale Kriterien beachtet. man muss hier sehr viel Zeit investieren, um diesen wissenschaftlichen Spürsinn zu entwickeln. so ähnlich wie ein Fußballer auch lange trainieren muss, um den Instinkt dafür zu entwickeln, genau im richtigen Zeitpunkt den Fuß da hin zu halten, wo ein Ball hinspringt.

so etwas wurde im Magisterstudium viel intensiver geübt, deshalb haben Magisterstudenten in der Zeit, die sie weniger in Pädagogik-Veranstaltungen verbracht haben, mehr Zeit fürs Forschen aufgewendet. auch wieder ein Punkt, den man quantitativ nicht vergleichen kann.
chilipaprika hat geschrieben:Es nervt echt, dass soviele "da draußen" glauben, wir hätten gerade eine halbe Zwischenprüfung eines Magisters..
umgekehrt nervt es mich, wenn Lehramtsabsolventen immer behaupten, ich hätte es bei meinem Magister leichter gehabt als sie bei ihrem Staatsexamen, nur weil ich ein paar Klausuren weniger geschrieben habe.

beides kommt letztendlich daher, dass man gar nicht weiß, um was es beim jeweils anderen Studiengang eigentlich geht. das ist genauso sinnlos, wie wenn ein Zahnarzt einem Rechtsanwalt vorwerfen würde, dessen Studium sei weniger anspruchsvoll gewesen, weil er nicht lernen musste, wie man Zähne zieht.
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Scooby

Beitrag von Scooby »

Ulysses hat geschrieben:so etwas wurde im Magisterstudium viel intensiver geübt, deshalb haben Magisterstudenten in der Zeit, die sie weniger in Pädagogik-Veranstaltungen verbracht haben,
... sagt ein bayerischer Gymnasiallehrer. Frag mal deine Kollegen, wie viel Zeit sie in pädagogischen Veranstaltungen verbracht haben...

Eine Pädagogik-Dozentin in München sagte mir mal, dass, wenn jeder Lehramts-Student die in der Studienordnung vorgesehen Veranstaltungen quantitativ auch belegen würde, das Angebot sich um den Faktor 4 steigern müsste. Als ich vor ca. 6 Jahren mein 1. StEx gemacht habe, musste man für die Anmeldung zum EWS-Examen genau 0 (Null) Scheine vorlegen...

Illi-Noize
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Beitrag von Illi-Noize »

Bei mir war das 1 Schein, das war so eine Ringvorlesung mit einem mehr oder weniger geschenktem Schein.

Und auch für den Rest des Examens waren die Didaktik-Scheine sehr überschaubar - und von den Inhalten her sowieso mMn so gut wie unbrauchbar für die Praxis.

CatherineDuquesne
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Beitrag von CatherineDuquesne »

Es gibt da jetzt wohl eine Änderung, was die Anforderungen der Scheine betrifft im Bachelor. Dagegen war mein Geschichtsstudium ein Spaziergang: Ich weiß nicht mehr genau, wie viele Scheine genau, aber es waren recht wenige. Dafür kommts dann für einig im 1. StEx ziemlich dicke, weil man in Geschichte halt erst dann merkt, dass man hier ziemlich alles können sollte. Ich war eine von denen. Ich kenne die Magisterklausuren nicht, allerdings muss ich für den Bereich G sagen, dass ich mir die Themen auch gerne ausgesucht hätte. Es wäre vom Lernen her einfacher gewesen. Jetzt kann man sagen, G-Lehrer müssen ja so oder so alles können, nur wäre es eben für uns sicher einfacher. Aber dafür heißt das Dings wohl auch Staatsexamen ;). Wobei, wenn ich an unsere Professoren denke, dann wäre das auch nicht so gewesen, das Examen in der Tasche zu haben bei vorheriger Themenauswahl. Die waren da sehr, sehr kritisch, da sind nicht einmal alle gut weggekommen bei den mündlichen Prüfungen.

In Germanistik mussten tatsächlich alle im Grundstudium alle vorgegebenen Scheine machen. Danach wurde es dann für die LA ruhiger. Meine ZA hätte besser sein können, aber ich musste die ja unbedingt bei einem Prof machen, der sich sonst eher nicht um die LA kümmert und somit Magister und Diplom als Anspruch hatte. Der Didaktikprofessor in G hat uns zwar nichts beigebracht, aber die Noten nachgeschmissen. Jetzt wäre ich „schlauer“ ;). Im Ernst: Eigentlich sucht man sich hier mit LA schon Professoren, bei denen man gut wegkommt. Wenn das so ist, wie Ulysses das sagt von den Anforderungen, dann hätte ich hier wohl bei einem Professor, der mit LA mehr Erfahrung hatte, eine bessere Note als das (äh, ja, war ja ganz befriedigend, und das ist bei uns an der Uni wohl eher mies fürs LA, zumindest "damals").

Bei mir an der Uni gab es zu meiner EWS-Zeit schon die interne Regelung, möglichst viele Seminare zu besuchen. Da hätte man sich nicht sehen lassen und ich glaube, die hätten einem was erzählt vor der Prüfung. Die Pädagogen haben nicht nachgefragt, was man besucht hatte (da wusste jeder so oder so, was zu lernen war, es gab nur bestimmte Themen, und wer die Vorlesungen durchgehalten hat, dem gebührt ein Orden – mir nicht, aber wer an Schlafstörungen leidet...). In der Schulpäd und Psych, da gabs Dozenten, die haben das registriert. Und die Seminare waren stets überfüllt. Aber: Das mag wohl eine Ausnahme sein. Didaktik bekamen wir in G nachgeschmissen, allerdings unter Konditionen, die führten zu miesen Examensnoten in dem Bereich. Jetzt ist das anders, der Prof ist emeritiert. In D wurde sehr auf Didaktik geachtet.

Dass man hier in anderen Studiengängen Leute vorher aussortiert, das kann ich so unterschreiben. Und das läuft da mitunter nicht mit den fairsten Mitteln. Man sagt nicht einfach nur, der Student solle sich einen anderen Studiengang suchen, sondern man gibt ihm teilweise das Gefühl, im Gegensatz zu den anderen ein besonders doofes Exemplar der Gattung Mensch zu sein. Und: Im Lehramt ist man nicht so begrüßt worden: Sehen Sie nach rechts und links. Einer ihrer Kommilitonen wird am Ende des Studiums nicht mehr da sein. Nein, das ist keine Geschichte, die man sich immer erzählt. Ich habe sie erlebt. Beim Lehramt hat einem tatsächlich keiner gesagt, dass man zu doof wäre. Nein, Schein bestanden und das reichte auch. Ich kenne jemanden, der wäre beim Staat so oder so nie eingestellt worden, darf aber nun privat ran. Das kommt mitunter dabei raus. Na ja.
"Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." B. Brecht

Ripley
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Beitrag von Ripley »

Also, du darf erstens "alles", wir leben schließlich in einem freien Land, aber zweitestens: du musst die konsequenzen für dein handeln selbst übernehmen. ich habe während meines refs immer zu den sus gesagt, dass ich schon lehrer bin, hatte schließlich die anerkennung als magister, aber halt eben kein staatlich anerkannter lehrer. übrigens, hätte irgendeiner zu mir gesagt, sie sind ja gar kein richtiger lehrer, hätte ich gesagt, für das bisschen kohle, das ich bekomme, leiste ich genug! in deinem fall würde ich aber immer das schreiben, was auf deinem zeugnis steht, und wenn es nur in klammern ist.

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