Dir antworte ich gern, auch wenn Du nun auf der Seite stehst, die seit PISA -- und nicht zuletzt seit dem Erscheinen des Lehrerhassbuches -- eine permanente Verteidigungsposition und Erläuterungsbereitschaft einnehmen muss, um den hohen Erwartungen der Öffentlichkeit zu genügen. Was viele Generationen von Lehrern verbockt haben, müssen nun die neuen Lehrer korrigieren -- selbst die, von denen ich annehme, dass sie gut sind und darunter leiden, wenn sie in der Öffentlichkeit mit den Lehrern verglichen werden, die es zu Recht trifft.
Deshalb darf ich offen sprechen, denn selbst den Verlagen ist nichts mehr heilig und die wenigen Tabus, die bisher noch nicht vermarktet wurden, warten bereits auf den richtigen Zeitpunkt um vermarktet zu werden. Moral ist eine ehrenvolle Angelegenheit, aber nicht Gegenstand der Geschäftswelt. Es sei denn, man kann daraus Kapital schlagen.
Sofern Dich persönlich nichts verletzt hat, gibt es einen Grund, sich gegen die Diffamierung eines ganzen Berufsstandes zu wehren, der sich bereits untereinander in verschiedene Interessengruppen geteilt hat und wo Hauptschullehrer einen anderen Tenor vertreten als Lehrer der gymnasialen Oberstufe. Sollte das Buch dazu angeregt haben, etwas wie ein Solidaritätsgefühl unter allen(!) Lehrern zu erzeugen, dann ist das in jedem Fall ein richtiger Schritt in eine Richtung, die auch Schülern zu Gute kommt, wenn das Ansehen der jeweiligen Schulstufenschwerpunkte keinen Anlass mehr geben, das Schüler sich für ihre Schulzeit an einer Hauptschule gegenüber Schülern eines Gymnasiums benachteiligt fühlen. Doch solange selbst Lehrer der ehemaligen Sek II der Ansicht sind, sie wären "zu schade", um an Hauptschulen zu unterrichten, kann man wohl kaum von einem Berufsstand sprechen, der sich selbst nicht als Gemeinschaft wahrnimmt.Wenn ich als mich nicht persönlich angegriffener Lehrer gegen die Diffamierung eines ganzen Berufsstandes wehren möchte, was kann ich denn dann Deiner Meinung nach noch tun?
Sicher ist es lobenswert, wenn ein "Held" unter den Pädagogen geboren werden würde, der die Interessensgemeinschaften der jeweiligen Verbände nicht nur zueinander sondern auch die gleiche Richtung führen könnte, aber dieser Aufgabe wird nicht mal die Bildungsministerin des Landes NRW gerecht, die selbst Lehrerin war und trotz eigener Erfahrungen nichts an den Klassenunterschieden der jeweiligen Schulformen ändern kann und wird. Was kann diese Frau für Lehrer unternehmen, wenn ihre Stimme nicht ausreicht und sie im Feuer der Verbände steht, von denen sie wiederum nur Kritik erhält? Die Wölfe fressen sich bereits untereinander auf, da dürfen Schafe nur zusehen und sich wundern!
Was der einzelne Lehrer tun kann, ist einfach:
Wer zufriedene Schüler hat, bekommt zufriedene Eltern und steht damit niemals im Zentrum der öffentlichen Kritik, denn wichtiger als ein bundesdeutscher Aufschrei sind die Reaktionen aus nächster Nähe -- an der eigenen Schule! Mir ist ohnehin schleierhaft, das die Lehrer um die es im Buch geht, jegliche Kommunikation mit der Mutter geduldet haben, aber ihre Meinung zu keinem Zeitpunkt ernst genommen haben. Wenn das einem Lehrer passiert, dann muss er auch mit den Folgen seines Handelns rechnen. Bisher glaubten Eltern, Lehrer wären unantastbar. Die Macht der Medien hat offenbart, wie einfach es ist, sich ein Forum zu verschaffen, das weit über Kritik an einer bestimmten Person hinausgeht. Für die Lehrer, denen das Buch ein Spiegel war, war es eine Warnung. Für Lehrer, die einen guten Job machen, ein wichtiges Signal, denn auch sie leiden unter Kollegen, die sich durch zu wenig Engagement auszeichnen, wodurch wiederum alle Beteiligten leiden. Es gilt, den faulen Apfel in einem Korb nicht nur zu erkennen, sondern diesen beim Namen zu nennen!
Zum Egoismus:
Ohne Egoismus auf Lehrerseite ist ein Unterricht nicht möglich, denn der Lehrer verfolgt ein bestimmtes Ziel und kann Schüler nur zur Mitarbeit bewegen. Wären Lehrern selbstlos, dann würden Schüler sich selbst unterrichten oder gar nicht mehr erscheinen. Was oft als kreativer Freiraum von Lehrerseite gesehen wird, ist nicht mehr als die Inanspruchnahme der erlaubten Tolleranzen innerhalb der allgemeinen Dienstvorschriften, die deutlich begrenzt sind. Zum Egoismus wurde ich -- wenn auch nur latent -- im zwei Seminaren in NRW hingewiesen. Zum einen aufgrund der Tatsache, seinen eigenen(!) Stil zu finden um authentisch zu sein. Zum anderen eine Handschrift zu entwickeln, die dem eigenen Charakter entspricht. Das funktioniert nur dann, wenn man sich dem Egoismus zuwendet, denn Lehrer haben nicht nur jeweils einen eigenen Stil und Charakter (das haben ja alle Menschen), sondern sie praktizieren ihn auch um der Lehrerrolle überhaupt gerecht werden zu können. Wenn Schüler von einem strengen Lehrer sprechen, dann meinen sie nichts anderes, als jemand, der genau weiß, was er ist, was er tut und was er fordert! Wenn man das nicht dem Egoismus zuordnen kann, dann sind Spatzen in Zukunft Raubvögel.
Zu Verdi:
Nicht immer ist das, was gut ist, wirklich gut für den, den es betrifft.
Gern! Professionelles Vorgehen unterscheidet sich durch die Handlungsoptionen und inwieweit man diese in Anspruch nimmt: Ein Anwalt zieht vor Gericht, wenn er der Auffassung ist, eine Person hätte in der Öffentlichkeit dem Ansehen einer Kanzlei Schaden zugefügt. Der Tatbestand einer Diffamierung reicht dafür aus. Ein Polizist kann Strafanzeige erstatten, wenn er auf der Straße von einem Passanten als "Bulle" bezeichnet wird. Das professionelle Handeln zeichnet sich -- ohne Rücksicht auf eine emotionale Schieflage der Beschuldigten oder Betroffenen -- dadurch aus, auf einen Sachverhalt sachlich zu reagieren. Aus rechtlicher Sicht besteht sicher auch eine Option, gegen die Autorin des Lehrerhassbuches vorzugehen, aber diesen Weg beschreitet (bisher) niemand. Professionell wäre es, Maßnahmen in Anspruch zu nehmen, die das Signal setzen: "Bis hier hin und nicht weiter!" Vielleicht würden Lehrer etwas über eine Sammelklage erreichen? Doch was passiert? Nichts, außer Empörung, die auf keiner Seite zur Aufklärung beiträgt. Um gehört zu werden, reicht eine Stimme aus, die eine Angelegenheit auf den Punkt bringt -- mit allen Konsequenzen. Wenn viele durcheinander quasseln bleibt es jedoch beim Murmeln und nichts geschieht! Mögliche Ursache für die Zurückhaltung der Lehrer und Verbände: Die Macht der Presse! Welcher Verband hätte schon die (finanziellen) Mittel, einen Rechtsstreit mit einem Verlag zu führen um solche und ähnliche Manuskripte in Zukunft nicht mehr zu veröffentlichen? Richtig, nicht die Autorin wäre das Ziel sondern der Verlag, der die Interessen der Autorin übernommen hat. Es wäre zumindest der erste Schritt, um den professionellen Umgang mit der Situation deutlich zu machen, anstatt wie tausend kleine Kücken ins Nest zu kack**, bis Mutti mit neuen Würmern kommt. Das hilft weder dem Ansehen der Lehrer noch setzen die Pädagogen eine Grenze ihrer Antastbarkeit. Hier wäre der Dienstherr gefragt, aber dieser rührt sich ebenfalls nicht, denn er hat ganz andere Sorgen und beschränkt sich -- falls überhaupt notwendig -- auf die Schadensbegrenzung für die Nachwuchskräfte, die solchen Erscheinungen wenig oder besser keine Beachtung schenken sollten. Kurzum: Es geschieht nichts, was man als professionelle Reaktion bezeichnen könnte.Ich bin also nicht professionell, weil ich das Buch nicht gut heiße? Und wenn ich professionell wäre, würde ich entweder die Klappe halten oder wie reagieren? (Bitte einmal Alternativen vorschlagen, Bea!)
Fatal! Den Kopf in den Sand zu stecken, verändert weder die Umwelt noch die öffentliche Meinung zu aktuellen Begebenheiten. Dem einen oder anderen Kollegen ist das Buch ganz sicher aufgefallen und er wird es auch gekauft haben um es "heimlich" zu lesen, denn auch Lehrer können sich den Medien nicht entziehen. Die Ignoranz der Lehrer an Deiner Schule unterstreicht jedoch die öffentliche Meinung umso mehr, dass Kinder von Lehrern unterrichtet werden, die längst ihren Bezug zur Realität verloren haben. Auch hier haben sich Deine Kollegen nicht professionell verhalten, denn Ignoranz zeugt von einem kleinen Geist, den man bei Lehrern nicht vermuten würde. Das erinnert mich sehr an die Meinung der Gelehrten, die nicht wahr haben wollten, das die Erde keine Scheibe ist. Nun, ich gebe zu, dass die Autorin keine vergleichbare Entdeckung gemacht hat, aber sie hat einen Schritt in eine neue Welt getan, die bisher für Eltern tabu war. Diese Leistung verdient unsere ungeteilte(!) Aufmerksamkeit, ungeachtet dessen, was es tatsächlich für die Welt bringt. In jedem Fall ist nichts mehr so, wie vorher.Bei mir im Lehrerkollegium ist das Buch komplett ignoriert worden. Hätte ich es nicht erzählt, hätte es niemand mitbekommen.
Es bleibt amüsant.
Mit besten Grüßen
Beatrice